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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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Mutes.«
    Wieder legte der Weise dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Dann musst du doppelt achtsam sein.«
    »Bitte, gib mir einen Rat«, bettelte Willie. »Ich bitte dich inständig, rate mir, ehe es zu spät ist, allzu rasch gehen die Jahre dahin, und ich möchte nicht allein und verlassen dastehen.«
    »Du solltest Folgendes tun«, hob der Seher mit großem Ernst an. »Begib dich nach Irland, dem geheiligten Flecken Erde, den meine Mutter, Gott hab sie selig, verließ, um in diesem weniger tugendhaften Landstrich eine Bleibe zu finden. Sie war wahrhaftig ein Engel, wenn es denn solche außerhalb der himmlischen Gefilde überhaupt gibt.« Hier machte der Seher eine Pause, um wohlgefällig von einem dankbaren Kunden ein Glas des bekömmlichen Trunks anzunehmen.
    »Rein, wie du selbst bist«, fuhr der Weise fort, nachdem er sich mit einem Schluck gestärkt hatte, »musst du nach einem Wesen gleicher Reinheit Ausschau halten.«
    Willie nickte eifrig. Sein ganzes Fühlen und Sein sagte ihm, dass er es mit einem echten Allwissenden zu tun hatte.
    »Lass dich nicht von dem ersten hübschen Gesicht betören«, riet ihm der Alte, »auch nicht von einer koketten Maid, selbst wenn du denkst, sie sei die Erfüllung deiner Träume. Übe dich in Geduld, und du wirst auf das richtige Mädchen treffen. Sie wird etwas an sich haben, etwas ihr ganz Eigenes, was sie von allen anderen unterscheidet. Und dieses Besondere wirst du auf Anhieb bemerken, wie Schuppen wird es dir dann von den Augen fallen, es wird so sonnenklar sein, als wäre es ihr auf den Rücken geschrieben. Also geh deinen Weg, lass dich durch nichts beeinflussen. Verfolge beharrlich dein Ziel und bleibe deinem Ideal treu, dann wird sie dir so, wie ich es angedeutet habe, erscheinen.«
    Der Weise machte mit beiden Händen eine schwungvolle Geste und gab so zu verstehen, dass er am Ende seiner Rede sei. Willie Ramley verließ die gastliche Stätte und bewegte wochenlang die weisen Ratschläge in seinem Herzen. Schließlich kam er zu dem Entschluss, nach Irland zu reisen, und hier befand er sich nun und war nach sechs Wochen in seinem Sehnen und Verlangen genau so weit wie am ersten Tag, als er den Fuß auf die Grüne Insel gesetzt hatte. Ihm blieben gerade noch zwei Wochen, und langsam überkamen ihn Angst und Verzweiflung, ob sich sein Traum je erfüllen würde. So sehen wir ihn denn an einem hellen Nachmittag im Monat Juni niedergeschlagen auf einem Büschel Strandhafer sitzen, wie er versonnen über die endlose Küste von Ballybunion schaut.
    Über ihm kreischten die Seemöwen in der würzig duftenden Seeluft, und um ihn herum vergnügte sich die Menschheit, als könnte es keinen schöneren Tag geben. Die Älteren wateten im flachen Wasser, junge Männer gingen tollkühn auf Eroberung aus und beobachteten das weibliche Geschlecht mit prüfendem Blick. Kleinstkinder patschten in den sanft heranspülenden Wellen herum, und die etwas größeren Jungen und Mädchen bauten mit Schaufel und Spaten unermüdlich ihre Sandburgen. Ein sonnengebräunter Rettungsschwimmer überwachte das bunte Treiben. Kurzum, alle waren glücklich und zufrieden, nur Willie Ramley nicht.
    Er war es überdrüssig, auf ein und demselben Fleck zu sitzen, und machte sich in den Ort auf, wo er in einer der gerühmten Wirtschaften ein erfrischendes Getränk zu sich nehmen wollte. Gedankenverloren schlenderte er durch die Straßen und schubste mit den neu erworbenen Sandalen leere Zigaretten- und Streichholzschachteln vor sich her. Fast wäre er dabei unter einen Bus geraten. Nur dem Aufschrei eines Passanten hatte er es zu verdanken, dass er heil davon kam. Er erhaschte gerade noch einen Blick seiner Wohltäterin, einem jungen Frauenzimmer, die ihr durchaus hübsches Gesicht sofort von ihm abwandte, als sie seine Augen auf sich gerichtet fühlte. Mit sich uneins, blieb er einen Augenblick vor der Tür eines beliebten Lokals stehen. Er musste an die Worte des Sehers denken und entschloss sich, es nicht bei der flüchtigen Begegnung zu belassen. Längst war die junge Dame entschwunden, doch er glaubte in ihr eines der Mädchen aus einer Gruppe erkannt zu haben, die auf dem Weg zum Strand gewesen waren. Raschen Schrittes strebte er voran und stieß tatsächlich auf die gesuchte kleine Schar. Es waren ihrer fünf. Er folgte ihnen, hielt allerdings diskret Abstand, wollte er doch den Bogen nicht überspannen und seine Chancen verspielen. Die Gruppe stieg etliche Steinstufen hinab, an deren Ende
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