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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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Wirtin, einer älteren Witwe, zu verbringen. Sie stammte aus den Midlands aus bescheidenen Verhältnissen, die Familie betrieb, wie es hieß, Landwirtschaft. Jimmy betrat selten das Büro. Und wenn er es tat, geschah es, weil Miss Miller ihn darum gebeten hatte. Dann stand sie bereits und bot ihm ihren Stuhl an, den sie eigens für ihn geräumt hatte. Im Allgemeinen ging es bei einem solchen Besuch um das Konto eines Unternehmers, das bereits überzogen war, oder um die Entscheidung, ob man wegen überfälliger Rechnungen besser einen Rechtsanwalt einschalten sollte. Sie redete ihn stets mit Mr. Bowen an, und auch für ihn kam nie eine andere Anrede als Miss Miller in Frage. Er wehrte sich zwar nie gegen diese gelegentlichen Zusammenkünfte, fand aber immer, dass seine Gegenwart eigentlich gar nicht vonnöten war. Sie mochte unscheinbar wirken und den Eindruck erwecken, sich nicht durchsetzen zu können, aber sie kannte sich in den geschäftlichen Dingen aus und bewies einen erstaunlichen Durchblick. Die Buchführung war einwandfrei. Auf Anfrage konnte sie jederzeit mit einer Zwischenbilanz aufwarten und den aktuellen Stand von Soll und Haben vorweisen. Sie war es, die mit den Rechnungsprüfern zusammensaß, die Inventur machte, auf Gratifikationen für die Mitarbeiter achtete, die wöchentliche Lohnzahlung in der Hand hatte und sich um die hundert kleinen Dinge kümmerte, die ein Geschäft am Laufen halten. Man konnte wohl sagen, dass sie ihren Arbeitgeber in- und auswendig kannte. Jimmy wusste, was sie für das Unternehmen bedeutete, und bezahlte sie gut. Man konnte in der Stadt fragen, wen man wollte, jeder würde einem bestätigen, dass er, von kleinen Schwächen abgesehen, ein durch und durch anständiger Mensch war.
    Mit den übrigen Mitarbeitern hatte er ein etwas anderes Verhältnis. Ein gelegentlich vorbeischauender Kunde hätte schwerlich erkennen können, wer der Boss und wer Mitarbeiter war. Es war ein gutes Zusammenspiel. Die Leute vom Land, die dort einkauften, schätzten einen Mann, der sie nicht von oben herab behandelte, der wie die anderen auch hinterm Ladentisch stand und jedem einen guten Tag wünschte. Auffällig waren andere Charaktereigenschaften, die aber so mancher besaß, egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Dazu gehörte sein Hang, in gewissen Zeitabständen auf Sauftour zu gehen. Geregelten Urlaub nahm er nie. Wenn ihn das Verlangen überkam, und das geschah meist bei schönem Wetter, begab er sich zum Kassenfensterchen im Büro und sagte Miss Miller, was er benötigte.
    »Ich brauche ein paar hundert«, hieß es zum Beispiel, und Miss Miller zählte ihm ohne jeden Kommentar die Scheine in Fünfern und Zehnern vor.
    Kaum waren die Banknoten in der Jackentasche verstaut, sagte er lediglich: »Bin in ein paar Tagen wieder da.« Zu Hause schlüpfte er in bequeme Hosen, Pullover und Sandalen. Dann ging’s zur Tankstelle zum Tanken und zu einer flüchtigen Durchsicht, und von dort zur nächstgelegenen Stadt oder, wenn es die Jahreszeit hergab, in einen etwas weiter entfernten Ferienort. Seine Kunden nahmen seine plötzliche Abwesenheit mit Schmunzeln zur Kenntnis. Sie wussten, was Durst hieß und wohin es ihn trieb. Glaubten jedenfalls, es zu wissen. Sicher gab es dort auch eine Frau, vielleicht sogar nicht nur eine. Warum sonst fuhr er allein los? Niemand verübelte es ihm. Nicht mal eine Stiefmutter hätte etwas dagegen haben können. Viele beneideten ihn darum, dass er einfach so abhauen und fort bleiben konnte. Niemanden brauchte er um Erlaubnis zu fragen, und auch zurückkommen konnte er, wann er wollte. Bei seiner Rückkehr ließ er mit keinem Wort durchblicken, wie er die Zeit verbracht hatte, ein untrügliches Zeichen, wie seine Freunde meinten, dass er mal wieder über die Stränge geschlagen hatte.
    In Wahrheit aber geschah nicht viel mehr, als dass Jimmy Bowen morgens lange ausschlief. Den Rest des Tages verbrachte er damit, die Pubs und Hotelbars der näheren Umgebung zu erkunden. Manchmal trank er ganz für sich allein, es kam aber auch vor, dass er sich mit jemandem zusammentat — dann endete das Trinken oft mit gemeinsamem Gesang. Um Mitternacht war er in einem solchen Fall dermaßen voll, dass er sein Zimmer gerade noch aus eigener Kraft erreichte. Viel mehr passierte eigentlich nicht. Nie ließ er es zu einer ernsthaften Begegnung mit einer Frau kommen. Er blieb seinen Flussuferträumen treu, und selbst wenn er betrunken in einen glückseligen Tiefschlaf sank, begleiteten
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