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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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Heubündel zusammen. Dann passierte es. Ohne jede Vorwarnung stöhnte Julia plötzlich auf und rang nach Luft. Mick stand hilflos und entsetzt neben ihr, während sie die Finger krampfhaft gegen die Brust krallte, um den grässlichen Schmerz einzudämmen. Doch ebenso plötzlich sanken die Hände zur Seite, lautlos fiel sie um und blieb gekrümmt liegen. Mick Henderson beugte sich zu ihr und flüsterte ihr mit Inbrunst das Schuldbekenntnis ins Ohr. Seine Frau war tot. Sacht streckte er ihr die Beine gerade und faltete ihr die Hände auf der Brust.
    Er setzte sich neben sie und wartete auf Mikey mit der nächsten Ladung. Der junge Mann merkte sofort, etwas stimmte nicht. Langsam stieg er vom Traktor und las dem Vater vom Gesicht ab, was geschehen war. Er kniete sich neben seine Mutter, küsste sie auf Lippen und Stirn, strich ihr das Haar aus dem Gesicht, hob den Kopf an und bettete ihn auf ein Kissen aus Heu. Dann stand er auf und schaute zum Himmel.
    »Es nützt nichts, wir müssen weitermachen«, sagte er. Mick Henderson blickte ihn verständnislos an. Dann begriff er, worum es ihm ging.
    »Was aber ist mit den beiden da hinten?«, fragte er und wies mit dem Daumen auf die beiden Arbeiter, die am anderen Ende der Wiese einen Heuschober aufstellten.
    »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, tat Mikey die Frage ab. Langsam stand sein Vater auf. Mikey war schon dabei, den Heuschober weiterzubauen. Instinktiv folgte der Ältere seinem Beispiel.
    Bevor er wieder losfuhr, um den nächsten Heuhaufen mit dem Rechen heranzubringen, legte Mikey dem Vater eine Hand auf die Schulter.
    »Sie würde das gewiss verstehen. Dir brauche ich das doch nicht zu sagen. Wenn wir das hier geschafft haben, tragen wir sie ins Haus, und ich hole den Pfarrer.«
    Damit kletterte er wieder auf den Traktor und rechte die restlichen Schwaden zusammen. Kurz blickte Mick Henderson auf seine tote Frau und verfolgte dann mit den Augen den jüngsten Sohn. Da gab es nichts dran zu rütteln, aus dem Jungen war ein Mann geworden, der Prioritäten zu setzen wusste, ein Mann mit dem richtigen Gespür für das Land.

Unter dem Ahornbaum

    Eigentlich war Jimmy Bowen kein pingeliger Typ, und doch rasierte er sich Abend für Abend und wusch sich mit aller Sorgfalt, ehe er die besten Sachen anzog und sich so für seinen Spaziergang zum Fluss rüstete. Er verließ das Haus und blieb immer erst vor dem Schaufenster stehen, um sich darin peinlich genau zu betrachten. Entdeckte er die geringste Unstimmigkeit in seinem Äußeren, kehrte er schnurstracks um und beseitigte den Makel. Hatte er mit Befriedigung festgestellt, dass er nichts unterlassen hatte, um seinem Erscheinungsbild den letzten Schliff zu verleihen, spiegelte er sich ein zweites Mal im Schaufenster. Oft stand er dort minutenlang und tat, als wäre er in die Schaufensterauslagen vertieft, in Wahrheit aber wanderte sein prüfender Blick von Kopf bis Fuß und erkundete, ob sein Aussehen durch keinen Mangel getrübt wurde. War er zu dem Ergebnis gelangt, dass nichts, aber auch gar nichts an seinem Äußeren auszusetzen war, machte er sich auf den Weg. Die Uhrzeit für seinen täglichen Gang änderte sich je nach Jahreszeit, immer aber war es etwa eine halbe Stunde, bevor es dunkel wurde. Er wanderte gemächlich durch die Straßen und bog dann auf einen Weg ab, der zum Fluss führte. Sowie er des Wassers ansichtig wurde, ging in ihm eine Veränderung vor. Seine Augen glänzten. Die Ohren begannen zu kribbeln, als stünde ihm eine aufregende Begegnung bevor. Er wurde ein völlig anderer Mensch.
    Mit seinen sechzig Jahren war Jimmy Bowen ein schlanker, grauhaariger, lebhafter Mann, der sich mit der Leichtigkeit eines Sportlers bewegte. Er war begütert. Es ging das Gerücht um, dass er nie geheiratet hatte, weil das Mädchen, das er geliebt hatte, bei einem Autounfall umgekommen, vielleicht auch ertrunken oder etwas ähnlich Schlimmes mit ihr passiert war. Genaueres wusste niemand. Mit achtzehn oder neunzehn hatte er die Stadt verlassen und war zwanzig Jahre später wieder zurückgekehrt, um das Familiengeschäft, eine Eisenwarenhandlung, zu übernehmen, weil es der Vater krankheitshalber nicht weiterführen konnte. Das Verhältnis der beiden war immer von Meinungsverschiedenheiten geprägt gewesen, doch den Kontakt zueinander hatten sie nie verloren, hieß es. Als der alte Bowen starb, wurde Jimmy sein Nachfolger. Seine Mutter starb unmittelbar danach, und natürlich erwartete man, dass er heiraten
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