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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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schmiegte. Langsam gingen sie den Weg zurück, den er gekommen war. Mrs. Malone sah besorgt auf, als sich die Tür öffnete. Das tat sie immer. Ein Pub war ein Pub, man wusste nie, wann man es mit einem Unruhestifter zu tun hatte. Erleichterung machte sich auf ihrem Gesicht breit, als sie Jimmy Bowen sah, wich aber sogleich ehrlicher Verwunderung, als sie seine Gefährtin bemerkte.
    »Ach, du mein Gott!«, begrüßte sie die Gäste, »Mousy Miller, und ohne Brille!«
    Alle Köpfe in Hörweite schossen herum. Alle Gespräche verstummten. Mrs. Malone wendete ihre Aufmerksamkeit Jimmy Bowen zu. Ein merkwürdiger Glanz ruhte auf ihm. Er war in der Tür stehen geblieben, immer noch wie in Trance versetzt, Miss Miller neben ihm, als warteten beide darauf, in den Raum geleitet zu werden. Mrs. Malone suchte vergeblich nach dem Wort, das Jimmys Aussehen beschrieb. Mondsüchtig, ja, das war es, mondsüchtig.
    Nach einer Weile stand einer von Jimmys Bekannten auf und verschaffte ihnen Sitzplätze.
    »Ich muss gestehen, sie sieht richtig attraktiv aus«, raunte Mrs. Malone einem in ihrer Nähe stehenden Gast zu. »Vielleicht ein bisschen zu viel Make-up, aber es steht ihr. Sie ist kaum wiederzuerkennen.«
    Jimmy stand selig, wenn auch etwas unschlüssig an der Theke.
    »Ich nehme einen Jameson«, erklärte er.
    »Und Miss Miller?«, fragte Mrs. Malone.
    »Miss Miller?«
    »Hinter Ihnen.«
    Jimmy Bowen drehte sich langsam um. Es kostete ihn große Mühe, den Blick auf seine Gefährtin zu heften.
    »Verdammt noch mal, die ist ja Miss Miller wie aus dem Gesicht geschnitten.« Die über die Schulter geäußerte Feststellung war mehr für Mrs. Malone gedacht.
    »Fragen Sie sie lieber, was sie haben möchte.« Jimmy brachte sie fast zur Verzweiflung, der aber ignorierte sie. Mit dem Rücken zur Theke stand er einfach da und betrachtete mit verblüffter Heiterkeit seine soeben gefundene Liebe.
    Mrs. Malone wandte sich ihr direkt zu und fragte sie: »Was darf ich Ihnen einschenken?«
    »Einen süßen Sherry, bitte«, kam die bescheidene Antwort.
    »Verdammt noch mal, sie spricht auch genauso.« Jimmys Stimme klang leicht beunruhigt. Miss Miller bemerkte das sehr wohl und blickte peinlich berührt in die Runde.
    »Verdammt noch mal, es ist tatsächlich Miss Miller«, stellte Jimmy Bowen fest, da er sie nun auch von der anderen Seite sah. »Warum hat mir das niemand gesagt?« Betreten blickte er von einem Gesicht zum anderen. Eisige Stille. Jeder schaute irgendwohin, zu Jimmy Bowen, zu Mrs. Malone, zum Nachbarn, zur Decke, überall hin, nur nicht zu Miss Miller.
    »Entschuldigen Sie.« Mehr als ein Flüstern war es nicht, und doch waren die Worte bis in jede Ecke der Schankstube zu hören. Sie kamen von Miss Miller.
    »Ihr Sherry.« Zu spät. Miss Miller war schon an der Tür und zog sie leise hinter sich zu. Einem allseitig betroffenen Schweigen folgte lautstarke Erleichterung. Alle sprachen durcheinander. Nur Jimmy Bowen schwieg. Es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben, und das Gesicht widerspiegelte Fassungslosigkeit. Verstört wankte er zur Tür. Über eine Stunde wanderte er ziellos durch die Straßen. Langsam und schmerzlich wurde er nüchtern, bis er sich zu guter Letzt vor seinem eigenen Schaufenster wiederfand. Während er die Hosentaschen nach den Schlüsseln abtastete, studierte er sein Spiegelbild. Die Kleidung hatte nicht gelitten, das Gesicht wirkte abgespannt, die Augen vielleicht ein bisschen verschwiemelt, das weiße Haar war leicht zerzaust, aber der Gesamteindruck war präsentabel. Er fand den richtigen Schlüssel, brachte es jedoch nicht über sich, ihn in das Schlüsselloch zu stecken. Unschlüssig hielt er ihn in der Hand und betrachtete sinnend sein Konterfei. Er schloss fest die Augen und öffnete sie wieder. Diesmal schaute er über das Spiegelbild hinweg. Vor seinem inneren Auge nahmen Bäume und ein ruhig dahinfließender Fluss Gestalt an. Aus der in der Abenddämmerung liegenden Landschaft lösten sich die Umrisse von zwei Menschen, die Gesichter konnte er nicht erkennen, aber es waren ein Mann und eine Frau, sie gingen nebeneinander und auf das Ufer zu und blieben unter dem Ahornbaum stehen. Jimmy Bowen hielt den Atem an, denn die Frauengestalt drehte anmutig den Kopf in seine Richtung. Das strahlende Lächeln auf Miss Millers Gesicht galt Jimmy Bowen, ihm allein. Daran bestand kein Zweifel. Das Lächeln kam aus dem Herzen, und das schlug für Jimmy Bowen.
    »Warum nicht?«, fragte er laut. »Ja, warum
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