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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Impulsen fuhr Frantzenow den Rücken auf und nieder, vor allem immer gründlich an der Einschußstelle und an den Armen.
    »Das Phänomen ist bekannt«, sagte er, »daß Nerven sich wiederfinden. Sie suchen sich und stellen dann einen neuen Kontakt zum Gehirn her. Warum sollen Wolfgangs Nerven für immer tot sein? Ich glaube an eine Besserung.« Im fünften Monat seiner Lähmung geschah das erste Wunder: Ganz langsam konnte Weberowsky die Hand heben. Im sechsten Monat war es schon der Arm. Nach acht Monaten richtete Erna ihn auf, und er blieb sitzen, er kippte nicht mehr um. Seine Beine blieben schlaff, Anhängsel eines Körpers, der um jeden Millimeter Bewegung kämpfte, der sich Schritt um Schritt erholte.
    Als die Sommersonne wieder begann, die Felder auszudörren, und das Korn sich golden färbte, hoben Frantzenow und Kiwrin zum erstenmal Weberowsky in den Rollstuhl. Sie mußten ihn festbinden, damit er nicht wegrutschte. Aber er saß, atmete schwer und blickte herausfordernd um sich. In der Zimmerecke, unter dem ewigen Licht und dem einfachen Kruzifix, stand Erna, die Hände gefaltet und betete stumm.
    »Erna«, sagte er laut. Seine Stimme hatte die alte Kraft wiedererlangt. »Sieh dir das an!«
    »Ich sehe es, Wolferl.«
    »Ich sitze.«
    »Ja, du kannst sitzen.«
    »Und dieser Dr. Anissimow, der Esel, hat behauptet, ich würde für immer auf dem Rücken liegen! Dem werd' ich es zeigen! In zwei Jahren spiele ich Fußball vor seinem Krankenhaus!«
    »Wir wollen froh sein, wenn du im Rollstuhl herumfahren kannst und deine Hände greifen können. Wenn wir das erreichen, ist es wirklich ein Wunder.«
    Ab und zu rief Bergerow an und berichtete Neues über das Aussiedlerproblem.
    »Jetzt kommt Bewegung in die träge Bürokratie. Horst Waffenschmidt, der Aussiedlerbeauftragte der Bundesrepublik, ist nach Moskau gekommen und hat vor 700 Rußlanddeutschen einen Vortrag gehalten. Ich war auch dabei. Und was sagt er? Er singt ein Loblied auf die Bemühungen in Bonn, deutsche Siedlungsgebiete in den GUS-Staaten zu schaffen. Dann legte er Pläne vor, die ihm die russische und ukrainische Regierung zugeschickt hatten. Neues Siedlungsland, in ehemaligen, verseuchten Militärgebieten, Schlamm- und Steinwüsten, Land, vor dem jeder Russe wegläuft. Das soll durch uns ein neuer Wolgastaat werden! Ausgelacht haben ihn die Delegierten. Aber damit nicht genug: Waffenschmidt beschwor uns, vom geöffneten Tor nach Deutschland keinen Gebrauch zu machen, sondern in der ehemaligen Sowjetunion zu bleiben. Wir haben vor Empörung geschrien. Doch das ist nicht alles: Ein Sprecher des Bonner Innenministers gab bekannt: ›Wir wollen die Rußlanddeutschen nicht in Containern auf Fußballplätzen abstellen. Sie sollen sofort integriert werden, mit vernünftigen Wohnungen, mit Jobs. Aber das funktioniert nur, wenn nicht eine Million auf einmal kommen.‹ Mit anderen Worten: Uns soll die Aussiedlung so schwer wie möglich gemacht werden, und sie soll Jahre dauern! Alle, die nicht auf Jelzins und Krawtschuks Pläne eingehen und in die Wüste an der Wolga ziehen, werden so indirekt bestraft. Wir haben protestiert, aber das blieb bloß ein Wisch Papier.«
    Er schwieg einen Moment. Weberowsky, den man zu Heinrichinsky ans Telefon gerollt hatte, knurrte leise vor sich hin.
    »Ich nehme an«, fuhr Bergerow fort, »daß ihr Wolfgang ans Telefon geholt habt. Wolfgang, du hast es besser. Die Bürokraten in Bonn haben eine neue Bewertung der Ausreiseanträge entdeckt. In ihrem Sprachgebrauch – so etwas kann nur ein Beamter erfinden – gibt es jetzt zwei Kategorien, die Erfolg haben könnten: Die Erlebnisgeneration und die Kriegsfolgeschicksale! Zur Erlebnisgeneration gehört jeder, der den Krieg miterlebt und von Stalin vertrieben worden ist – dazu gehörst auch du. Ein Kriegsfolgeschicksal ist, wenn jemand nach dem Krieg wegen seines Deutschtums bekämpft worden ist, wesentliche Nachteile hatte und sein Leben in der Sowjetunion erschwert sah. Allein, das nachzuweisen ist nahezu unmöglich. Die größten Aussichten hast du demnach als Erlebnisgeneration. Das ist Ernst, Wolfgang, und keine Waschmittelreklame. Du darfst demnach vielleicht nach Deutschland.«
    Weberowsky hob den Kopf. Er sah Frantzenow an, Pfarrer Heinrichinsky, seinen Sohn Hermann, Erna, die hinter dem Rollstuhl stand, und Kiwrin, der jetzt nach der Auflösung der Partei viel Zeit hatte und jeden zweiten Tag Weberowsky besuchte und alles besorgte, was man für eine gezielte Therapie
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