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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Onkel Andrej Valentinowitsch, kommt der Name Weberowsky noch ins Lexikon. Das muß begossen werden.«
    »Erst sehen, wo ich hinkomme.«
    Gottlieb riß das Kuvert auf und holte den Briefbogen heraus. Nur wenige Zeilen waren es, die man ihm geschrieben hatte:
    »Die Zusage der aufgelösten kommunistischen Partei, Sie auf deren Kosten Medizin studieren zu lassen, wird hiermit rückgängig gemacht. Die Partei verfügt über kein Vermögen. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid ist nicht möglich …« Gottlieb zerknüllte das Schreiben und schleuderte es gegen die Wand. Erna war blaß geworden, Frantzenow blickte auf seine Hände, Hermann trank mit einem Zug seinen Wodka, und Eva preßte die Lippen zusammen.
    »Das gibt es nicht«, sagte Gottlieb tonlos. »Das können sie nicht tun! Das ist ein Verbrechen.«
    »Es gibt Schlimmeres, Gottlieb.« Hermann versuchte ihn zu trösten.
    »Schlimmeres? Sie haben meine Zukunft vernichtet.« Und plötzlich schrie er, als würde er gefoltert: »Jelzin muß weg! Und wenn man ihn töten muß. Er muß weg! Er ist der Totengräber Rußlands!«
    »Werde nicht hysterisch!« Hermann goß sich noch einen Wodka ein. »Laß uns lieber gemeinsam überlegen, was nun zu tun ist.«
    »Da gibt es nichts zu überlegen. Ich kenne meinen Weg!«
    Am Abend packte Gottlieb einen Koffer mit dem Nötigsten, was man für eine Reise braucht. »Du willst weg?« fragte Erna, als er mit dem Koffer in das Wohnzimmer kam.
    »Ja, Mama.«
    »Wohin denn?«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Ich schließe mich einer Gruppe an, die gegen Jelzin kämpft.«
    »Das ist doch Irrsinn!« rief Hermann. »Du willst in den Untergrund?«
    »Ja. Ich werde ein Partisan der Partei sein. Bis wir gesiegt haben und es den Kommunismus wieder gibt.«
    »Oder bis man dich irgendwo erwischt und erschießt«, sagte Frantzenow.
    »Oder auch das. Dann sterbe ich für eine gerechte Sache.«
    »Du wirst für eine verlorene Sache sterben!«
    Erna saß starr auf der Eckbank. Zwischen ihren Fingern zerknüllte sie ein Handtuch. Sie war aus der Küche gekommen, wo sie das Abendgeschirr gespült hatte.
    »Bleib hier, Junge«, sagte sie. »Schon um Vaters willen.«
    »Vater kann mir nicht helfen. Er will ja sowieso nach Deutschland … ich nicht. Ob jetzt oder später, unsere Wege trennen sich.«
    »Willst du nicht mit ihm sprechen?«
    »Nein, Mutter.«
    »Keinen Abschied?«
    »Sag ihm, ich konnte es nicht.« Er blickte von einem zum anderen und schluckte krampfhaft. »Viel Glück euch allen. Ich wünsche euch, daß Deutschland euch nicht enttäuscht. Vielleicht kehrt ihr doch zur Wolga zurück, dann hört ihr sicherlich von mir.«
    Er drehte sich schroff um, griff nach seinem Koffer und rannte aus dem Haus.
    Erna fuhr von der Eckbank hoch. »Gottlieb!« rief sie, und ihre Stimme klang fremd und heiser. »Gottlieb … bleib! Gottlieb –«
    »Es hat keinen Sinn, Mama.« Hermann legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Er läßt sich nichts sagen. Er stand immer außerhalb von uns.«
    »Aber im Krankenhaus, als er Vater sah, hat er geweint.«
    »Das hat er sich auch selbst übelgenommen. Um sein Gleichgewicht wiederzufinden, hat er dann gesagt: Er ist es selbst schuld! Da war er wieder zufrieden.«
    Erna senkte den Kopf. »Und wer sagt es Vater?«
    »Du, Mama. Wenn jemand die richtigen Worte findet, bist du es.« Hermann trank den dritten Wodka. »Wie kommt er überhaupt von hier weg?«
    »Mit einem Auto aus Atbasar«, antwortete Iwetta Petrowna Weberowsky. »Ich habe es gesehen. Es stand vor dem Theatersaal und hat Kulissen für das neue Stück gebracht.«
    »Ein bühnenreifer Abgang.«
    Auch diesen Schlag überstand Weberowsky besser, als jeder geglaubt hatte. Er blickte an die Decke, eine ganze Zeit lang, und sagte dann endlich: »Gottlieb war immer ein Außenseiter. Mich wundert, daß er seinen Namen nicht gewechselt hat. Gottlieb, das paßt doch gar nicht zu einem Kommunisten.«
    Damit war für ihn das Thema Gottlieb beendet. Er sprach nie mehr darüber.
    Aber das Wunder, an das keiner geglaubt hatte, vollzog sich in kleinen Schritten. Jeden Tag machte Erna mit ihrem Mann eine Therapie, für die sich Kiwrin die Anleitung aus einer Moskauer Rehabilitationsklinik besorgt hatte. Weberowsky wurde massiert und in einem Spezialstreckgerät aufgehängt. Mit unendlicher Geduld bewegte Erna immer wieder seine Finger und Arme, dreimal flog Kiwrin nach Moskau, bis er ein neues Gerät, das elektrische Reize ausstrahlte, bekommen konnte. Mit diesen
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