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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wolferl.«
    »Dreht sich die Welt andersrum?«
    »Ich glaube, jetzt dreht sie sich richtig.«
    Als er an der Beljakowa vorbeigetragen wurde, rief er »Halt!« und drehte den Kopf zu ihr. Sie sahen sich an. Ihr dickes Gesicht war gerötet und naß vom Weinen, und ihr riesiger Busen bebte gefährlich und drohte das Kleid zu sprengen.
    »Hast du dich nicht verlaufen, du Hexe?« sagte Weberowsky, aber seine Augen lachten dabei. »Hier ist kein Veteranentreffen.«
    »Ich wollte nur sehen, ob du wirklich auf dem Rücken liegst!« antwortete sie und schluchzte dabei. »Jetzt bin ich zufrieden.«
    Weberowsky blickte zur Seite zu Erna. »Hast du das gehört?« Seine Stimme hob sich. »Es ist wie früher! Ich bin wirklich zu Hause.«
    Bis tief in die Nacht feierte man. Weberowsky war längst eingeschlafen, nachdem Pfarrer Heinrichinsky mit ihm das Abendgebet gesprochen hatte. Frantzenow war durch das Haus gegangen und setzte sich dann in die Küche.
    »Ich werde versuchen, auf dem Hof mitzuarbeiten«, sagte er zu seiner Schwester. »Man kann alles lernen. Und außerdem helfe ich dir, wenn Wolfgang versorgt werden muß.«
    »Du willst bei uns bleiben, Andrej?«
    »Wenn ihr mich ertragen könnt.«
    »Du versuchst nicht, nach Deutschland zu kommen?«
    »Nicht ohne euch. Wir haben Zeit, es wirft uns ja keiner hinaus. Und vielleicht wird Wolfgang eines Tages doch sitzen können und seinen Traum wahr werden lassen.«
    »Glaubst du daran, Andrej?«
    »Ohne Hoffnung ist das Leben sinnlos.«
    »Es wäre ein Wunder.«
    »Auch Wunder geschehen immer wieder. Wer weiß, was Gott denkt?«
    »Du sprichst von Gott?«
    »Ich habe gelernt, ihn zu akzeptieren.« Er lächelte. »Auch ich habe mich umgestellt. Es ist nie zu spät dazu.«
    In der Nacht brachte Kiwrin mit größter Mühe die Beljakowa nach Hause. Sie war so betrunken, daß sie kaum noch stehen konnte, aber im Auto sang sie dann sowjetische Kampflieder aus den Tagen ihrer Scharfschützenzeit.
    Elf Monate später.
    Hart war der Winter gewesen, mit Stürmen und ungewöhnlicher Kälte, die in die Stämme der Bäume eindrang und sie zersprengte. Frantzenow hatte die Fenster verklebt, denn so dicht ist kein Fensterrahmen, daß sich der Wind nicht eine Ritze suchen kann und dann pfeifend ins Zimmer fährt.
    Zu Weihnachten gab es im Hause ein besonderes Fest: Hermann und Iwetta Petrowna heirateten. Pfarrer Heinrichinsky traute sie unter einem bunt geschmückten Tannenbaum, und Weberowsky sagte: »So schnell geht das. Jetzt habe ich zwei Töchter. Und beeilt euch, ich will noch erleben, daß ihr mir meinen Enkel auf die Brust legt.«
    Voll Ungeduld wartete Gottlieb auf den Bescheid, wann und wo er sein Medizinstudium antreten konnte. Mehrmals schrieb er nach Moskau an die zuständigen Stellen, aber eine Antwort erhielt er nie.
    »Alles nur leere Versprechungen!« sagte Weberowsky. »Deine Partei pfeift dir was.«
    »Meine Genossen werden mich auch jetzt nicht im Stich lassen, ich vertraue ihnen.«
    »Seit dem Putsch habt ihr keinen Einfluß mehr. Ich würde nicht warten, Gottlieb. Denke um.«
    »Die Partei muß sich wieder durchsetzen. Ohne sie gibt es kein Rußland.«
    Und dann hörten sie eines Abends im Rundfunk: Jelzin hatte die kommunistische Partei verboten! Es gab sie nicht mehr. Der russische Kommunismus war zur Historie geworden. Die Welt hatte sich verändert, über Nacht.
    Wie erstarrt saß Gottlieb vor dem Radio und hörte sich den Untergang der Partei an. »Er ist wahnsinnig geworden«, sagte er dumpf. »Jelzin ist ein gefährlicher Irrer. Den Kommunismus verbieten, das ist doch gar nicht möglich. Was hundert Jahre bestanden hat, kann man doch nicht einfach wegfegen! Ich sage euch: Das ist Jelzins Ende. Er wird abtreten müssen. Das lassen sich die alten Genossen nicht mehr gefallen! Es wird eine neue Revolution geben!« Doch sie kam nicht. Immer mehr Generäle und Minister wurden ausgewechselt, der KGB verlor seine unheimliche Macht, notgedrungen öffnete sich Rußland immer weiter dem Westen, und die Feinde von ehemals wurden Freunde. An einem Februartag brachte der Briefträger aus Atbasar einen Brief für Gottlieb Weberowsky. Aus Moskau.
    »Leute, jetzt geht es los! Ich habe meine Zulassung bekommen!« rief er und schwenkte den Brief. »Ich hab' euch ja gesagt: Man hat mich nicht vergessen!«
    »Welche Universität hat man dir zugewiesen?« Hermann hatte eine Flasche Wodka geholt und goß die Gläser voll.
    »Unser Kleiner als angehender Arzt. Wenn er so berühmt wird wie
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