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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Autoren: Klester Cavalcanti
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VORWORT
    Ich brauchte sieben Jahre, bis Júlio Santana mir gestattete, seinen wirklichen Namen in dieses Buch zu setzen. Als wir uns das erste Mal unterhielten, im März 1999, willigte er ein, mir seine Geschichte zu erzählen, aber weder wollte er seine Identität preisgeben, noch mir oder sonst jemandem gestatten, ihn zu fotografieren. Das ist mehr als verständlich. Denn der Mann, den ich von da an durchschnittlich ein Mal im Monat interviewen sollte, ist ein Auftragsmörder, der in fünfunddreißig Arbeitsjahren fast fünfhundert Menschen getötet hat. 492 genau, von denen 487 akribisch in ein Heft eingetragen wurden, mit Datum, Tatort, dem Betrag, den er für die Arbeit erhalten hat, und vor allem, den Namen der Auftraggeber und der jeweiligen Opfer.
    Mein erster Kontakt mit diesem verstörenden brasilianischen Staatsbürger ergab sich während der Arbeit an einer Reportage über moderne Sklaverei. Damals war ich Korrespondent der Zeitschrift Veja in Amazonien. Für die Reportage bereisten ich und der Fotograf Janduari Somões mehrere Städte im Bundesstaat Pará auf der Suche nach Menschen, die versklavt worden waren, und Grundbesitzern, die auf ihrem Besitz Sklavenarbeit einsetzten. Bei einem Einsatz der Bundespolizei gemeinsam mit dem Arbeitsministerium im Landkreis Tomé-Açu erzählte mir ein Polizist, es sei in der Gegend nicht unüblich, dass Grundbesitzer »Pistoleiros« anheuerten, um Verwandte – meist Kinder oder Geschwister – entflohener Sklaven zu töten, um diese zur Rückkehr zu bewegen.
    Als ich Interesse bekundete, mit einem solchen Auftragsmörder zu sprechen, sagte mir einer der Bundespolizisten, er kenne einen und würde ihn bitten, mir seine Telefonnummer geben zu dürfen. Wer die brasilianische Polizei kennt, wird sich über diese Nähe von Polizisten und Verbrechern leider nicht wundern, wirklich geglaubt habe ich es dennoch erst, als der Polizist sich zwei Tage später bei mir meldete und sagte, ich solle den Mann am nächsten Tag pünktlich um vierzehn Uhr anrufen. Die Nummer, die er mir gab, gehörte zu einer Telefonzelle gegenüber einer Bäckerei in der Stadt Porto Franco im Bundesstaat Maranhão. Am Donnerstag, dem 18. März 1999, erfuhr ich in einem fast halbstündigen Telefonat, dass der Mann, dessen Geschichte ich aufschreiben wollte, Júlio Santana hieß und seinen ersten Mord im Jahr 1971 begangen hatte, als er siebzehn Jahre alt war.
    Im Gespräch und seinem Tonfall nach zu urteilen, kam mir der Mann nicht gewalttätig oder gar aggressiv vor. Er sprach langsam, ruhig und mit deutlich nordostbrasilianischem Akzent. Bereits bei diesem ersten Kontakt wurde mir klar, dass der Mann darauf brannte, jemandem seine Geschichte zu erzählen. »Ich habe das bisher noch niemandem erzählt«, sagte er mir. Wir verabredeten das nächste Telefonat für fünf Tage später zur selben Uhrzeit. Als ich aufgelegt hatte, rief ich sofort den damaligen Chefredakteur der Veja , Laurentino Gomes, an. Er war begeistert von der Idee, einen Auftragsmörder zu porträtieren. Doch eine derart unglaubliche Geschichte könnten wir nur bringen, wenn wir zumindest den Namen der Hauptperson veröffentlichten. Noch besser wäre natürlich ein Foto. Jedes Mal, wenn ich mit Júlio Santana telefonierte, faszinierte mich seine Geschichte mehr. Doch meine Hoffnung, er würde sich irgendwann fotografieren lassen, schwand. Zunächst jedenfalls.
    Sieben Jahre lang unterhielt ich mich mit dem Mann, der fast fünfhundert Menschen getötet und nie etwas anderes in seinem Leben getan hat. Mit jedem Telefonat wuchs das Vertrauen. Ich spürte, dass er mit jedem Mal aufrichtiger und emotionaler wurde. Hin und wieder ließ ich einfließen, dass ich gern über ihn schreiben wolle, dafür aber seinen wirklichen Namen preisgeben müsse, und am besten auch sein Foto. Júlio Santana blieb hartnäckig. Doch ich war sicher, irgendwann würde er seine Meinung ändern. Dies geschah schließlich im Jahr 2006, als er mir sagte, er wolle sein Leben als Mörder aufgeben und in einen anderen Bundesstaat ziehen.
    So konnte ich ihn überzeugen, dass seine größte Angst – festgenommen zu werden, falls sein Name in einem Buch erscheint – damit hinfällig geworden war. In einem anderen Bundesstaat und mit einem komplett anderen Leben würde ihn die Polizei niemals finden. »Aber wenn Sie mein Foto veröffentlichen, kriegen sie mich«, sagte Júlio Santana. Ich erklärte ihm, dass wir das Foto verfremden würden, und schließlich war er,
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