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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dauern.«
    »Dann haben wir wieder Winter und müssen uns in die Häuser verkriechen.«
    »Ich sprach von den allgemeinen Anträgen.« Der Botschafter bewunderte den Mut dieses Mannes. Gelähmt bis zur Brust, saß er im Rollstuhl und ließ sich von seiner Sehnsucht nach Deutschland hinreißen. »Der Antrag von Ihnen und Ihrer Familie wird sofort bearbeitet. Ihre Aussagen im Fall Köllner sind sehr wichtig. Vor allem, was Ihre Frau von ihm weiß.«
    »Lassen Sie Erna aus dem schmutzigen Spiel!« sagte Weberowsky grob. »Sie weiß gar nichts.«
    Von Baltenheim ging nicht darauf ein. Er blätterte in einem Taschenkalender.
    »Wie lange brauchen Sie zur Auflösung Ihres Haushaltes?« fragte er.
    »Ich weiß es nicht. Was wir mitnehmen können, ist schnell gepackt. Aber ich muß den Hof und das Land erst verkaufen. Ich weiß, es gibt genug Russen, die beides kaufen wollen, aber ich will einen guten Preis haben. Es stecken jetzt mehr als fünfzig Jahre Arbeit drin … vom Zelt und der Baracke 1941 bis zum Musterhof.«
    »Und trotzdem wollen Sie weg?« fragte der Botschafter.
    »Ja. Ich habe von Kind an davon geträumt. Jetzt wird dieser Traum Wahrheit. Jetzt, wo ich nicht mehr laufen kann. Gerade darum will ich nach Deutschland. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Es war übrigens eine russische Kugel, die mich zum Krüppel gemacht hat.«
    »Wir werden sofort das Bundesverwaltungsamt in Köln verständigen. Es ist die Behörde, die alle Anträge überprüft und letztendlich entscheidet. Rufen Sie uns an, wann Sie ausreisen können. Die Genehmigung wird dann bei uns liegen.«
    Am Abend saßen sie in der Halle des Hotels Metropol, das von Baltenheim ihnen empfohlen hatte. Frantzenow reichte seinem Schwager ein Glas Wein. Pfarrer Heinrichinsky kaute an einem etwas zähen Braten.
    »Man sieht es. Es geht alles, wenn man nur will«, sagte er.
    »Ja, wenn man Frantzenow heißt!« Weberowsky lachte. Aber Frantzenow fiel nicht in das Lachen ein.
    »Irrtum! Man hat uns nur so gut behandelt, weil wir Teil eines Spionagefalls sind. Man muß erst einen Neffen haben, der ein Spion ist, dann läuft die Behördenmaschinerie wie geschmiert.«
    Der Abschied von Nowo Grodnow wurde wieder zum festlichen Ereignis. Das ganze Dorf nahm Anteil. Kiwrin war mit einem Lastwagen gekommen, um das Gepäck zum Flugplatz Karaganda zu bringen. Auf dem Lastwagen saß auch die Beljakowa und heulte wieder.
    Weberowsky hatte seinen Hof an einen Russen verkauft, der aus Orenburg kam und für die russische Behörde als Umsiedler galt. Er hatte für den Kauf des Weberowsky-Hauses einen Kredit aufgenommen, den er nie im Leben abzahlen konnte. Aber wer denkt so weit voraus? Er hatte den schönsten Hof im Bezirk, das allein war ihm wichtig. Die Nachbarn hoben Weberowsky mit seinem Rollstuhl in den Lastwagen. Auf einer Bank saßen Eva, Frantzenow und Hermann. An seiner Seite weinte Iwetta Petrowna. Sie verließ ihre Heimat aus Liebe zu ihrem Mann, so wie auch Erna nicht mehr fragte, was in Deutschland aus ihnen werden sollte. Wolferl wollte in das Land seiner Väter, und sie folgte ihm, weil sie zu ihm gehörte, bis in den Tod.
    Unter den Auf-Wiedersehen-Rufen der Nachbarn fuhren sie weg. Sie blickten sich nicht um, aber sie hörten die kleine Glocke der Kirche, an der sie alle gebaut hatten. Pfarrer Heinrichinsky hatte sich entschieden, in Nowo Grodnow zu bleiben, bis das letzte seiner Schäfchen das Dorf verlassen hatte. »Ich bin wie ein Kapitän«, verkündete er von der Kanzel am Sonntag vor Weberowskys Abfahrt. »Ich werde als letzter unser Schiff verlassen. Gott helfe uns. Amen.«
    Am schlimmsten war der Abschied von Kiwrin und der Beljakowa am Flugplatz von Karaganda. Weinend fiel Kiwrin Erna um den Hals, kniete neben dem Rollstuhl nieder und küßte Weberowskys Hände, und als dieser rief: »Laß das sein, du Ziegenbock!« schluchzte er:
    »Ich werde mich nie wieder mit jemandem so streiten können wie mit dir, du Stinksack.«
    Die Beljakowa lehnte an dem Lastwagen und konnte nicht aufhören zu weinen. Es war unheimlich, welche Tränenbäche aus ihr herausstürzten, und als Weberowsky ihr über den Arm streichelte und sagte: »Leb wohl, du Luder. Jetzt hast du Ruhe vor mir!«, heulte sie auf wie ein junger Wolf, lief hinter den Wagen und drückte das Gesicht gegen die Plane.
    Erst als das Flugzeug in der Luft war und eintauchte in den unendlichen Himmel über der Steppe von Kasachstan, sagte sie zu Kiwrin:
    »Er war der einzige Mensch, den ich wirklich
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