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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street
Autoren: Katherine Howe
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PROLOG
    Nordatlantik, Auf hoher See
    14. April 1912
    I rgendwo unter dem Geklirr und Gemurmel im Speisesaal, unter dem stets spürbaren Vibrieren der Schiffsmotoren begann eine Uhr zu schlagen. Helen Allston schloss ihre Hand noch fester um den Ellbogen ihrer Tochter, schob die Spitze von Eulahs Ärmel beiseite, um die Finger in ihre Armbeuge zu legen. Sie warf Eulah, die vor lauter Begeisterung das Gewicht der Berührung gar nicht zu spüren schien, einen Blick von der Seite zu. Eulah war so dezent geschminkt, dass es selbst für Helens kundigen Blick kaum zu erkennen war, und in ihrem Gesicht, das vor Aufregung leicht gerötet war, stand ein offenes Leuchten, das nur die wenigsten jungen Frauen in ihrer Umgebung zustande gebracht hätten. Helen seufzte vor Zufriedenheit. Sie wurde es nie müde, die Welt mit Eulahs Augen zu sehen, jung und voller Lebenslust.
    Aber natürlich nicht zu viel Lust.
    » Dein Haar hast du heute aber besonders hübsch hochgesteckt « , murmelte sie und geleitete Eulah mit entschlossener Hand auf den großen Treppenaufgang zu. Die blonden Locken ihrer Tochter, die für Helens Geschmack meistens viel zu ungebändigt waren, hatte Eulah im Nacken zu einem kleinen Knoten geschlungen und in ein zartes schwarzes Haarnetz gehüllt, das von einem kleinen Schmetterling aus Emaille zusammengehalten wurde. Die ausgebreiteten Flügel des Insekts bebten und schimmerten, wenn Eulah sich bewegte, als würde es jeden Moment davonflattern.
    » Ist das eigentlich meine Brosche? « , fragte Helen laut, als sie den Haarschmuck wiedererkannte, und Eulah drehte sich in gespielter Unschuld zu ihr.
    » Es macht dir doch nichts aus, Mutter? « , fragte sie lächelnd und zeigte ihre Grübchen. » Nellie hat gesagt, dass alle Mädchen in New York solche Broschen tragen, und ich dachte … «
    Helen hielt ihrem Blick gerade so lange stand, um zu verdeutlichen, dass die Brosche immer noch ihr gehörte, doch ohne Eulah dabei ein schlechtes Gewissen machen zu wollen. Sie wusste sehr wohl, dass sie mit ihrer Tochter allzu nachsichtig war. Doch Eulah hatte die besondere Gabe, jeden, der mit ihr zu tun hatte, von der absoluten Logik ihrer Ansichten zu überzeugen, ganz gleich, wie unorthodox diese waren. Und Helen musste zugeben, dass Nellie, das neue Mädchen, das sie auf ihre Reise mitgenommen hatten, ein Händchen für die neuesten Haartrachten hatte.
    » Na ja « , lenkte sie ein. Eulah lachte und legte die Hand auf die ihrer Mutter. Sie wusste, dass die Schlacht gewonnen war, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
    » Du solltest allerdings nicht vergessen, mein Liebes, dass du bei all der New Yorker Mode immer noch ein Bostoner Mädchen bist « , flüsterte Helen, was Eulah mit einem Stöhnen quittierte. Nachdem nun auch diese sanfte mütterliche Zurechtweisung geäußert und hingenommen worden war, blieben die beiden einen Moment lang am Fuße der Treppe stehen, um sich bereit zu machen.
    Helens Blick wanderte ein letztes Mal prüfend über das Äußere ihrer Tochter, um sich zu vergewissern, dass alles an seinem Platz war, bevor sie die Treppe erklommen und den Speisesaal der ersten Klasse betraten. Eulahs blaue Augen funkelten voller Vorfreude unter dem kleinen Schleier, doch dahinter lauerte noch etwas anderes, das Helen nur mit Mühe einordnen konnte. Sie sah genauer hin. Vielleicht war es Entschlossenheit.
    Helen war es gewohnt, ihr jüngstes Kind entschlossen zu sehen. Natürlich hatten alle ihre Kinder einen ausgeprägten Willen, doch Eulah hatte sich die Dickköpfigkeit der Allstons besonders zu eigen gemacht und sie nach außen gerichtet, auf eine Welt, die wie eine kaputte Uhr dringend repariert werden musste, und zwar mit dem gleichen Eifer, den ihre beiden älteren Geschwister eher nach innen kehrten und auf sich selbst bezogen. Vielleicht hatte Eulah jedoch auch endlich begriffen, welche Chancen ihr diese Reise eröffnete, womöglich noch mehr, als Helen geahnt hatte.
    Diese Entschlossenheit zeigte sich deutlich in der besonderen Sorgfalt, die ihre Tochter an diesem Abend ihrem Äußeren gewidmet hatte. Helen hatte mit Wohlwollen quittiert, welchen Einfallsreichtum Eulah an den Tag gelegt hatte, als sie vor ihrer Abreise den Schneidern an der Tremont Street ihre Anweisungen gab, und vermutlich hatten die vielen Stunden, die ihre Tochter in Pariser Modehäusern und beim Studium des Journal des Dames et des Modes verbracht hatte, ein Übriges getan, um Eulahs Ansprüche zu erhöhen.
    Dennoch hielt Helen es
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