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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I
    Die Sonne stieg aus dem Meer wie eine glutrote, neugeborene Welt. Die See, in langen ruhigen Wellen zum Strand rollend, schillerte in einem mit Gold durchsetzten Violett. Morgendunst wehte durch die Palmen, der süße Duft von Tausenden von Frangipani- und Tiare-Blüten zog vom Hang hinunter über den feinen, gelbroten Sand.
    Diese Augenblicke des aus dem Meer steigenden Morgens waren für Werner Bäcker die schönsten Minuten des ganzen Tages. Anne und Paul, sein Sohn, schliefen noch, und immer wiederholte sich das gleiche: Er stand leise auf, schlich auf Zehenspitzen aus der Hütte, trat hinaus in den noch kühlen Tag, dehnte sich dem Glutball der Sonne entgegen und überblickte dann sein Paradies: die Insel Viktoria-Eiland, den Strand, die schwarzen Felsen, die Korallenbänke, die Lagune und das Meer. Dieses gehaßte, geliebte Meer, mit dem er sich jetzt vertrug, mit dem er zusammenleben mußte, das ihn ernährte und beschützte, nachdem es ihm vorher alles genommen hatte – die erste Frau, drei Kinder, überhaupt den ganzen Werner Bäcker. Es hatte einen neuen, anderen Menschen aus ihm gemacht, hatte ihn umgeformt, ließ ihn jetzt nicht mehr los. Es hatte ihm eine eigene Welt geschenkt von ergreifender Schönheit und verfluchter Schrecklichkeit.
    Jeden Morgen, nun schon dreizehn Jahre lang, stand Bäcker vor seiner Hütte und dachte an das Gestern, das Heute und das Kommende. Meistens trat er vorn an den Hang, auf dem die Hütte stand, und blickte hinunter zum Strand. Dort hing noch immer zwischen den acht dicken Bambuspfählen die aufgespannte orangenfarbene Gummiinsel, die ihm vor neunzehn Jahren das Leben gerettet hatte, mit der er das Regenwasser aufgefangen hatte, die seine erste Kampfansage gegen die glühende Sonne, den austrocknenden Wind, den mehligen Sand und das mit Haien verseuchte Meer gewesen war.
    Jetzt war die Gummiinsel zu einer Art Denkmal geworden. Siebenmal hatte er in den letzten dreizehn Jahren die Pfähle erneuert. Die orangene Farbe war ausgeblichen, die Gummiimprägnierung brüchig geworden, er hatte vor vier Jahren ein schönes, festes Bretterdach über das ›Denkmal‹ gebaut und zu Anne und seinem Sohn gesagt:
    »Es gibt nicht nur eine Dankbarkeit gegenüber Menschen, es gibt sie auch gegenüber Dingen. Ihr werdet mich einmal überleben … Sorgt dafür, daß die Pfähle immer wieder erneuert werden. Was wäre aus uns geworden ohne diesen Fetzen Stoff?«
    Ja, was ist aus uns geworden? – das dachte er jeden Morgen. In dreizehn Jahren war aus dem einsamen, elenden, auf keiner Karte verzeichneten Viktoria-Eiland eine vollkommene, kleine Welt geworden. Systematisch hatte Bäcker die Insel kultiviert, Auffangbecken für Regenwasser gebaut, Kanäle gezogen, Mais und Getreide angepflanzt, Salat und Gemüse. Mit seiner kleinen, wendigen Jacht hatte er von den Tuamoto-Inseln Milchziegen und zum Lachen reizende, schwarze Zwergschweine herübergeholt, hatte Ställe und Pferche gebaut, Böcke und Eber gekauft, züchtete nun selbst sein Fleisch, und Anne hatte gelernt, wie man Ziegenkäse macht, sie melkte, bediente die Zentrifuge, überwachte die Buttermaschine und setzte Joghurt an.
    Die Zivilisation wuchs von Monat zu Monat. Eine mit Benzin betriebene Trafostation wurde gebaut, ein Benzinlager angelegt, tief in den Hang hineingegraben, eine Betonmischmaschine drehte sich zehn Stunden am Tag, und Bäcker und Anne gossen Fundamente und Stürze, Platten und ganze Wände. Paul – damals zehn Jahre alt – stand an der Mischmaschine und schaufelte Sand und Zement in die rasselnde Trommel, schleppte Steine zu den Baustellen und übernahm das Kochen für die unermüdlich arbeitenden Eltern.
    Dreizehn Jahre … sie waren dahingeflogen, und Bäcker hätte es nicht begriffen, wenn er nicht an Paul die Spanne der Zeit hätte messen können.
    Aus dem Kind war ein junger Mann geworden; groß und stark wie sein Vater, mit Muskeln, die sich unter der Haut wie Stränge spannten, aber das Gesicht hatte er von Anne geerbt, dieses zur Zärtlichkeit auffordernde Gesicht mit den großen, braunen, verträumten Augen, die dann plötzlich aufblitzen konnten und vor Energie fast barsten.
    »Ein wunderbarer Sohn –«, hatte Bäcker einmal an einem Abend gesagt, als sie oben vor dem Haus auf der Bank saßen, die von einer mit Hibiskusblüten überwucherten Pergola überdacht war. Unten am Meer stand Paul wie ein herrlicher nackter Gott und warf sich den anrollenden Wogen der Flut entgegen. »Anne – ich danke
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