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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dir.« Er hatte sie geküßt, dann den Arm um sie gelegt, und aneinandergeschmiegt hatten sie ihrem Sohn zugeschaut, wie er mit dem Meer rang.
    Es war ein Festtag gewesen.
    Dreizehn Jahre Viktoria-Eiland. Das bedeutete eine völlige Verwandlung der Insel.
    Jetzt stand ein Wasserturm da. Auf der höchsten Stelle der Insel wehte an einer weißen Stange eine Fahne, nicht die deutsche, nicht die Frankreichs, in dessen Territorium Viktoria-Eiland lag, sondern eine selbstgenähte, von Anne entworfen: auf weißem Grund zwei gelbe, ineinanderverschränkte Hände und darüber im Halbkreis der Satz: Wir werden leben.
    »Man sollte sie zur Fahne der ganzen Menschheit machen«, sagte Bäcker, als sie zum erstenmal im pazifischen Wind knatterte. »Wir werden leben … darüber gibt es nichts mehr! Anne, wir sind die glücklichsten Menschen geworden.«
    Als nach dem Einbau des Benzintransformators zum erstenmal elektrisches Licht die Insel erhellte, wußte Bäcker, daß damit die Eroberung seines Paradieses abgeschlossen war. Was jetzt kam, war normaler Ausbau.
    Dreizehn Jahre.
    Bäcker hatte von der Missionsstation auf Hiva Oa Schulbücher und Hefte geholt. Jeden Tag ging Paul vier Stunden zur Schule … Anne, seine Mutter, war die Lehrerin. Er lernte lesen und schreiben, rechnen und Erdkunde, Geschichte und Physik, Chemie und Mathematik, und in den Religionsstunden sagte Bäcker zu seinem Sohn: »Man hat dicke Bücher über das Christentum geschrieben, mein Junge. Es gab Heilige und Märtyrer, Eiferer und Idioten, Reformer und Zerstörer, wie überall, wo Menschen etwas besonders gut machen wollen. Das alles ist nicht wichtig. Wichtig ist nur: Es gibt einen Gott, und es ist ganz gleichgültig, wie du ihn nennst. Er ist da – du siehst ihn jeden Tag, und ich weiß, daß du ihn siehst. Das genügt.«
    Ab und zu nahm Bäcker seinen Sohn auf der Jacht mit … zu den Marquesas-Inseln, zu den Tuamoto-Archipelen, zu dem schon legendären Pater Pierre, der auf einem kleinen Atoll neben einer winzigen Kirche hauste und mit einem Auslegerboot der Eingeborenen von Inselchen zu Inselchen segelte und den Papuas von Jesus erzählte. Es waren Ausflüge in eine andere Welt. Paul ging mit offenen Augen durch die Straßen von Atuana oder Fakarava, viermal in dreizehn Jahren auch durch Papeete, aber die Stadt gab Paul nichts, er beobachtete kritisch die Menschen, hörte sich die Gespräche der reichen Pflanzer an, besuchte – er war inzwischen siebzehn Jahre alt – ein Sommerfest beim Gouverneur und verglich mit in sich gekehrtem Blick das aufgebaute, verschwenderische kalte Büfett mit der Armut, die Pater Pierre durch Gottes Wort mildern wollte.
    Nach diesem Ausflug in die für Paul ›große Welt‹ überraschte Bäcker seinen Sohn eines Abends bei einem Buch. Paul hatte sich neben dem Haupthaus eine eigene kleine Bambushütte gebaut, zog drei Hunde groß und machte später dort seine Schularbeiten. Als Bäcker unverhofft in den kühlen Raum kam, klappte Paul das Buch schnell zu und legte ein Schulheft darüber.
    »Mathematik?« fragte Bäcker. Er hatte Pauls schnelle Reaktion gesehen und war sich unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Der Junge hat Geheimnisse vor mir, dachte er. Zum erstenmal. Warum versteckt er etwas? Es ist doch unmöglich, hier Geheimnisse zu haben. Nur drei Menschen leben auf Viktoria-Eiland … er, ich, sein Vater, und Anne, seine Mutter. Und die Toten auf der anderen Seite der Insel, die stummen Mitbewohner auf der Schädelstätte rund um den Todesgötzen. Es war ein Bezirk geworden, den Bäcker durch einen hohen Bretterzaun von seiner Welt abgeschlossen hatte.
    »Chemie?« fragte er weiter.
    »Nein, Vater«, sagte Paul verschlossen.
    »Was denn?«
    »Ein Buch. Ich habe es in Papeete gekauft. Es interessierte mich.«
    »Ein Roman?«
    »Nein. Etwas – Politisches.«
    Werner Bäcker lehnte sich gegen die Wand und sah seinen Sohn an. Jetzt ist er siebzehn, dachte er. Ein langer, kluger Bursche. Wir sollten ihn hier nicht verkümmern lassen. Soll er aufwachsen wie eine Palme? Das wäre ein Verbrechen an ihm. Noch erkennt er das nicht, aber einmal wird die Zeit kommen, wo er zu mir sagen wird: »Vater, was hast du aus mir gemacht? Einen Teil deiner Insel! Ist das der Sinn des Lebens?« Was nutzt es, daß ich ihm alles heranschaffe … Schulbücher, Atlanten, Lexika, Fachbücher, Romane. Im Radio hören wir Deutschland über Kurzwelle, durch den Sender Papeete mit seiner Tanzmusik hat er mit Anne sogar das Tanzen gelernt
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