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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken
Autoren: Kingsley Amis
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EINS
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    Die bei der jungen Eiche zusammengedrängten Schafe warfen den Kopf hoch und sicherten. Etwas kam über die kurz abgeweideten Grasflächen rasch auf sie zu. Gleichzeitig schwoll ein leises dumpfes Geräusch wie von fernem Donner gleichmäßig an, und der Erdboden schien zu vibrieren. Die Schafe brachen unvermittelt seitwärts aus und ergriffen die Flucht.
    Was sie erschreckt hatte, war eine hübsche fünfjährige Rappenstute mit rassigem Kopf und gutem Knochenbau, geritten von einem jungen Soldaten mit hellem Haar, rosigen Wangen und hellblauen Augen, die bisweilen den Eindruck vermittelten, als nähmen sie nicht wirklich auf, was sie sahen; auch jetzt zeigten sie diesen Ausdruck. Er ritt schneidig und unbekümmert, doch war die Stute vom Roßarzt und Furierfeldwebel des Regiments selbst zugeritten worden und hätte sich auch einer noch weniger umsichtigen Reitkunst gewachsen gezeigt. Sie war bemerkenswert gut balanciert, was bei Anlässen wie dem gegenwärtigen, einem vollen Galopp über das unebene, mit Baumwurzeln und Dachsbauten durchsetzte Gelände die notwendigste aller Eigenschaften war.
    Der Reiter erreichte die Schafe, die nicht den Verstand gehabt hatten, sich zu zerstreuen, und ihr Heil in ziellosen gemeinsamen Richtungsänderungen suchten. Der junge Mann unterhielt sich eine Weile damit, daß er die ängstlich blökende, zurückschreckende Herde eng umkreiste und seine verängstigten Opfer durch plötzlich hervorgestoßenes Gelächter, Schreie und Flüche in noch größere Panik zu versetzen suchte. Dann brach eines der Mutterschafe, unternehmender oder in seiner Angst kopfloser als die anderen, aus dem Verband der Herde und versuchte sich zu retten, nur um des Reiters Aufmerksamkeit ganz auf sich zu lenken. Nicht lange, und das gepeinigte, angerempelte und mehr als einmal beinahe zu Fall gebrachte Schaf konnte nicht mehr; es blieb zitternd stehen und stieß einen Laut aus, der dem Schrei eines Säuglings ähnelte. Darauf wendete der junge Mann sein Pferd mit einem scharfen Ruck, jagte im Galopp davon und wurde erst langsamer, als er ein paar hundert Meter weiter die Straße erreichte. Hier machte er halt und saß bewegungslos, das Kinn auf der Brust, biß sich auf die Lippe und schluckte alle paar Sekunden. Um der Stute den Hals zu tätscheln, streckte er die Hand aus und sah, daß sie heftig zitterte. So saß er, während ein mit Runkelrüben beladenes Pferdefuhrwerk vorbeirollte. Die zwei Männer auf dem Kutschbock legten grüßend die Hände an ihre Kappen, aber er schien sie überhaupt nicht zu sehen. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und hob den Kopf. In seinen Augen standen Tränen.
    Nachdem er ungefähr einen Kilometer im Schritt die Landstraße entlanggeritten war, bog der junge Mann nach rechts und durchquerte auf einem Pfad, der zwischen alten, teils umgesunkenen Grabsteinen dahinführte, einen kleinen Friedhof. Um einen niedrigen Torbogen aus Ziegelmauerwerk und Hausteinen zu passieren, mußte er absteigen. Voraus und ein wenig zur Linken erhob sich ein kleines Schloß im Stil des frühen achtzehnten Jahrhunderts; voraus und zur Rechten erstreckte sich ein Park mit beschnittenen Sträuchern und Hecken, von Statuen flankierten Stufen, die zu einem Sommerpavillon hinaufführten, einem großen künstlichen Teich und Hunderten von Baumstümpfen – Eichen, Linden, Fichten, Stechpalmen und vor allem Zedern: die Exemplare, die in früheren Zeiten hier im Südosten des Schlosses gestanden hatten, mußten mächtige alte Bäume mit Durchmessern von annähernd zwei Metern gewesen sein. Andere Bäume, hauptsächlich Eichen und Eschen, waren noch ganz, aber keiner von diesen war älter als zwanzig Jahre. Nicht, daß der junge Mann sie nach ihren Arten unterscheiden oder ihr Alter hätte schätzen können; für ihn waren es Bäume oder deren Überreste.
    Er band die Stute an einen kleinen Rundtempel mit Steinsäulen und einem Kupferdach, das eine Wetterfahne trug. Es war früh am Abend eines schönen Julitages, warm und ruhig, er aber zeigte nichts von der Gelassenheit, die dem Ort und der Abendstimmung angemessen gewesen wäre. Er eilte hinüber zum Garteneingang des Schlosses, sprang die Stufen hinauf und betrat das Haus, wo er verdrießlich die Stimme erhob. Bald kam ein weißhaariger Mann mit einem buschigen Schnurrbart und faltigen Wangen herbeigeeilt. Er trug einen braunen Gehrock und ein rosa Halstuch und schwitzte ein wenig.
    »Guten Abend, Euer
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