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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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machen, dass es hieß, dass sie zerbrach, dass sie nicht mit ihrem Schicksal fertig wurde.
    Während sich Jims restliche Familie langsam auf die Wärme und den Schutz der wartenden Autos zubewegte, kam seine älteste Tochter Angela zu Jasmine, und sie standen zusammen am Grab, während der Regen auf ihre Schirme tröpfelte wie das verklingende Wispern leiser, respektvoller Stimmen.
    »Ich wollte mich bei dir bedanken«, sagte Angela. »Im Namen von … meiner Mutter und allen.«
    Jasmine war ein bisschen verwirrt, wofür sie Dank verdient hatte, und das war wohl in ihrem Gesicht zu sehen.
    »Ohne dich hätten wir das hier nie gehabt. Eine Gelegenheit, uns zu verabschieden, alle zusammen. Die Gewissheit . Die Ramsays hatten das nie.«
    Jasmine lächelte traurig und umarmte sie, während ihre Gedanken zur Beerdigung von Annes Eltern Stephen und Eilidh zurückkehrten. Auch dort hatten ihr Leute gedankt – völlig fremde, Männer und Frauen mittleren Alters mit Jahrzehnten voller Schmerz in den Augen, der sich in tiefste Dankbarkeit verwandelte, weil sie aus diesem Gefängnis der Ungewissheit freigelassen worden waren.
    Zum ersten Mal seit über einem Jahr kam sie sich nicht mehr wie ein kleines Mädchen vor, das sich verlaufen hatte. All diese älteren Leute, eine Generation von ihr entfernt, taten so, als hätte Jasmine sich um sie gekümmert, als sähen sie eine Frau vor sich, die Jasmine erst nach einer Weile als sie selbst erkannte.
    »Ich wollte noch wegen etwas anderem mit dir sprechen«, sagte Angela. »Wir haben Jims Testament verlesen lassen. Jim hat uns, seinen Kindern, die Firma überlassen. Es war kein eigener Unterpunkt, aber in einer allgemeineren Bestimmung enthalten. Der Laden ist nicht viel wert, wenn er nicht läuft.Das Büro ist gemietet, und es gibt da nicht viel, was man zu Geld machen könnte: einen alten PC , einen alten Lieferwagen, ’nen Haufen Überwachungstechnik und ein paar Büromöbel. Er war nun mal die Firma, ein Ein-Mann-Betrieb. Bis er dich an Bord geholt hat.«
    Angela schaute mit feuchten Augen zur Seite, wo der Sarg ihres Vaters darauf wartete, dass die Erdhaufen zu beiden Seiten ihn für immer begruben.
    »Wir haben drüber geredet, und wir finden alle, dass die Firma dir gehören soll, wenn du sie willst. Wir sind uns sicher, dass Dad das gewollt hätte, gerade nach allem, was du getan hast.«
    Angela fing wieder an zu weinen, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
    »Denk … denk einfach mal drüber nach und sag Bescheid, ja?«, bat sie, und ihre Stimme versagte am Ende.
    Jasmine nickte ernst, und Angela ging zu dem schwarzen Bestattungswagen, wo ihr Mann Mark ihr eine Tür aufhielt.
    Jasmines roter Civic stand irgendwo in der Prozession der Wagen der Trauernden an der schmalen Einbahnstraße, die sich durch den Friedhof schlängelte, und die grelle Farbe wirkte ganz fehl am Platz zwischen den vielen schwarzen Autos und schwarzen Anzügen. Sie fuhren alle zu einem Hotel in der Nähe, wo es noch mehr Umarmungen, Tränen und Sausage Rolls geben würde. Jasmine würde gleich nachkommen.
    Sie ging zwischen den Gräbern spazieren und sah sich die Daten an, die bis zu einem Jahrhundert zurückgingen. Reihen kleiner, weißer Linien, die ihre geheime Wärme abgaben. Eine davon gehörte ihrer Mutter. Wenn sie sich nur orientieren und das Grab finden konnte. Ja, jetzt wusste sie wieder – gleich hinter dem Mausoleum irgendeines viktorianischen Geschäftsmanns. Seit der Beerdigung war sie nicht hier gewesen, einerseits, weil sie diesen schmerzhaften Moment nicht noch mal durchleben wollte, aber hauptsächlich, weilsie nicht so recht wusste, warum. Warum sollte sie gerade hier an ihre Mutter denken, sie war doch nie mit ihr hier gewesen. Hier lag nur ihre Leiche, der Ort hatte genauso wenig mit ihr als Mensch zu tun, mit allem, was sie zu ihr machte, wie der Steinbruch mit Jim oder den Ramsays und wer da noch alles verscharrt gelegen hatte.
    Trotzdem fühlte sie sich immer schuldig, dass sie nie hinging, als würde sie ihre töchterliche Pflicht verletzen.
    Der Grabstein stand jetzt. Sie erinnerte sich, dass sie einen Brief deswegen bekommen hatte mit dem Vermerk, dass die Kosten von irgendeiner Versicherung übernommen worden waren. Das hätte sie eigentlich als Anlass nehmen können, aber da hatte sie sich noch nicht stark genug gefühlt. Sie würde ihn gleich zum ersten Mal sehen. Sie vermutete, dass der Anblick ihr zu schaffen machen würde, vor allem die Daten – die
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