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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt
Autoren: Christopher Brookmyre
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»Und das mit Ihrem Onkel tut uns unendlich leid.«
    Jasmine nickte. Catherine sah, dass sie selbst den Tränen nah war.
    »Und lassen Sie sich nicht zu viel Zeit mit der Rechnung«,forderte Neil. »Keine falsche Bescheidenheit. Besser konnten wir unser Geld gar nicht investieren.«
    »Ist schon okay«, erwiderte Jasmine leise. »Mir ging’s nicht ums Geld.«
    Catherine merkte, dass das Mädchen von ihren Gefühlen überwältigt war.
    »Sie schickt Ihnen die Rechnung«, sagte sie. »Dafür sorge ich. Von Dankbarkeit können Sie keine Miete zahlen«, belehrte sie Jasmine mit einem freundlichen Lächeln.
    Das Mädchen nickte ertappt.
    »Ja«, erwiderte sie. »So was Ähnliches meinte Glen auch.«
    Sofort verging Catherine das Lächeln.
    »Hör mal«, sagte Laura, als sie den Zündschlüssel drehte, während Catherine sich den Gurt anlegte, »sobald jemand seinen Namen sagt, siehst du aus, als würdest du gleich jemanden schlagen. Das ist ziemlich gruselig.«
    Catherine sah sich nach dem Haus um. Vor der offenen Tür unterhielt Jasmine sich noch mit Neil Caldwell.
    »Nicht so gruselig wie Fallan«, erwiderte sie. »Wir reden hier von jemandem, der in gewissen Kreisen so berüchtigt ist, dass er letzte Woche einen bewaffneten Angreifer mit einem Handy verjagt hat.«
    »Ja, aber heutzutage ist er doch anscheinend auf unserer Seite.«
    »Mir geht’s nicht darum, für welches Team er spielt, denn das kann sich jederzeit ändern, sondern darum, wozu er fähig ist. Einmal Killer, immer Killer«, fügte sie mit einer Überzeugung hinzu, die hauptsächlich auf der Angst beruhte, dass es stimmen könnte.
    »Kein Wunder. Je mehr ich von seinem Vater höre …« Laura schüttelte sich. »Ein absoluter Psychopath.«
    »Sag ich doch«, erwiderte Catherine. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

    Laura nahm die Hand vom Schalthebel und drehte sich zu Catherine um.
    »Du hasst ihn richtig, oder?«, fragte sie. »Das ist nicht nur Angst. Echter Hass. Kanntest du ihn damals, bevor er untergetaucht ist?«
    Catherine seufzte und verschaffte sich Zeit, um sich zu sammeln. Sie wollte sich nicht auf dieses Thema einlassen, nicht vor Laura und nicht jetzt. Sie war Laura aber eine Antwort schuldig, weil sie recht hatte.
    »Ich hab ihn vor langer Zeit mal kurz getroffen«, erwiderte sie. »Da war er ein Niemand, ein kleines Rad in einer schrecklichen Maschinerie, dem nicht klar oder immerhin egal war, was er angerichtet hat, weshalb er sich gar nicht mehr dran erinnert. Ihn hasse ich deswegen nicht, sondern alles, wofür er steht.«
    Laura dachte darüber nach und verstand wohl, was Catherine meinte, war aber sichtlich unzufrieden damit. Sie sah auch nicht mehr aus wie jemand, der seine Gedanken für sich behalten würde.
    »Aber steht er nicht auch dafür, dass wir uns nicht vom schlimmsten Ereignis unseres Lebens definieren lassen müssen?«, fragte sie und hörte sich an, als wollte sie unbedingt daran glauben. »Steht er nicht für die Möglichkeit, dass wir uns ändern können?«

Familie (II)
    Vor Jims Beerdigung war das Wetter umgeschlagen, und starke Regenböen durchnässten die Leute, die in einem der kurzen sonnigen Abschnitte unvorbereitet nach draußen gegangen waren. Zum ersten Mal seit Monaten war der Regen kalt und der Wind eisig, woraus Jasmine schloss, dass der Sommer jetzt wirklich vorbei war.
    Sie hatte keine Angst vor dem Winter. Er konnte nichts Schlimmeres bringen als der letzte, dessen tiefste Temperaturen seit vierzig Jahren noch das Harmloseste waren.
    Bevor sie ihn begraben konnten, mussten sie die Obduktion und alle dazugehörigen Ermittlungen abwarten, damit Jims Leiche nicht mehr als Beweisstück gebraucht wurde. Diese zweite Beisetzung fand an einem angemessenen Ort statt, wo die Leute ihn beerdigten, die ihn geliebt hatten und um ihn trauerten.
    Jasmine stand zwischen ihnen, vermisste ihn, erinnerte sich an ihn, liebte ihn, doch diesmal glaubte sie nicht, dass ihr die Tränen kommen würden. Sie hatte schon geweint, dachte sie, genug geweint; lange vor allen anderen gewusst, dass Jim tot war und sich gezwungen, das als Realität hinzunehmen.
    Sie lag aber falsch – in den trauernden Gesichtern ihrer Verwandten, sah sie auch ihre eigene Trauer des ganzen letzten Jahres, und auch sie musste wieder weinen. Sie trauerte um Jim, trauerte immer noch um ihre Mutter und konnte sicheingestehen, dass sie auch ein bisschen um sich selbst weinte. Das durfte sie jetzt – sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu
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