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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Marthas Vorschlag nicht folgen konnte, aber sie wollte sich noch einen Moment der Illusion hingeben. Einen Augenblick, in dem sie glauben konnte, sie müsste sich nicht mehr allein in dieser Stadt fühlen und Martha wäre nur eine vögelvergiftende wunderliche alte Frau, die sie im Dame-Spiel schlug.
    Es war dieser Moment, in dem sich ein brennender Schmerz in ihrem Innern ausbreitete.

B lume saß an dem breiten Eichenschreibtisch, der in erster Linie Macht ausstrahlte, und durchsuchte flüchtig Notizbücher und Hängeregister. Auf der Schreibtischplatte lagen stapelweise Glückwunschkarten, die meisten ungeöffnet. Dazu die Fahnen eines neuen Bildbandes, eine Werkausgabe zum Hundertsten. Blume sah sich nach Alexander Bohmann um, der an einem Regal lehnte.
    »Hat Ihr Vater Tagebuch geführt? Gibt es Briefe oder anderes aus seiner Jugend?«
    Bohmann schüttelte den Kopf.
    »Es sind zwei große Biographien über ihn erschienen, in denen kaum etwas Privates steht. Er sagte einmal, an dem Tag, an dem er sein erstes Gebäude einweihte, sei er geboren worden. Alles davor braucht niemanden zu interessieren.«
    »Gibt es enge Freunde von früher? Frauen? Was war mit Ihrer Mutter?«
    »Meine Mutter war Bauzeichnerin. Sie haben zusammengearbeitet. Ich glaube, es war eher eine freundschaftliche Ehe.«
    Der Sohn schien einen Moment in der Erinnerung versunken. Blume fragte sich, welche Bilder jetzt vor ihm aufstiegen. Dann hob Bohmann den Kopf.
    »Die alten Freunde sind lange tot. Mein Vater war hundert. Die beiden im Salon kennen ihn seit den 70ern, das haben sie eben noch mal erzählt. Aber vorher? Nein.«
    Blume seufzte.
    Der alte Bohmann schien jemand gewesen zu sein, der für seine Arbeit lebte und der seine Familie vor der Öffentlichkeit schützte. Oder hatte er etwas zu verbergen gehabt? Blume hatte Männer in Verhören erlebt, die ihre frühen Taten gewaltsam aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatten, bis die Erinnerung völlig gelöscht war. Er würde nach der Beerdigung ein Team ins Haus schicken, das alles noch einmal ganz genau durchsuchen sollte. Doch er fürchtete, dass der Betrug von damals nicht mehr ans Licht kommen würde.
    Blume seufzte noch einmal und stand auf. Er ging auf Alexander Bohmann zu.
    »Nochmals herzliches Beileid. Wir werden …«
    Plötzlich hörte Blume auf zu reden und starrte an dem Mann vorbei ins Bücherregal.
    Der Juniorchef sah ihn verwundert an und drehte den Kopf über seine linke Schulter in die Richtung, in die der Kommissar schaute.
    »Was ist denn?«
    Blume zeigte auf ein Foto, das in einem schlichten Messingrahmen steckte.
    »Dieses Bild. Das habe ich schon einmal gesehen. Das heißt, einen Teil davon.«
    Bohmann nahm das Foto aus dem Regal. Zwei Männer standen dort Arm in Arm und lachten in die Kamera. Sie trugen weite Anzüge und hatten das Haar mit Pomade aus dem Gesicht frisiert. Etwas entfernt lehnte eine junge Frau an einer Mauer. Sie trug ein elegantes graues Kostüm und war sehr schlank.
    »Das ist mein Vater mit seinem Jugendfreund, Anton Steiner.«
    Blume nahm Bohmann das Bild aus den Händen und betrachtete erstaunt die alte Fotografie. Jetzt, wo er es wusste, erkannte er in den Zügen des Mannes rechts den alten Bohmann. Als Vierzigjähriger war er massiv und rotgesichtig gewesen. Dass ich das nicht gleich gesehen habe, dachte er. Den Sechzehnjährigen habe ich sofort erkannt. Ein halbes Kind sieht dem Greis, der er einmal wird, ähnlicher als der erwachsene Mann.
    »Was können Sie mir über den Freund Ihres Vaters sagen?«
    »Die beiden waren viel zusammen, vor allem, als meine Mutter starb. Ich glaube, er war der wichtigste Mensch im Leben meines Vaters.«
    Blume sah ihn erstaunt an. Alexander Bohmann lachte verlegen.
    »Sie wundern sich, dass ich das sage, nicht wahr? Ja, ich glaube, er war ihm wichtiger, als ich es war.«
    »Arbeitete er auch als Architekt?«
    »Nein, er war Beamter. Später war er sogar Finanzsenator hier in Berlin.«
    Der Steuerexperte, dachte Blume. Die Männer, die junge Fische fangen. Er tippte auf die Frau im Hintergrund. Sie sah lächelnd auf die Freunde, aber in ihrem Blick war Spott. In der einen Hand hielt sie eine Zigarette. Sie sah aus wie aus einem alten Modemagazin.
    »Und wer ist das?«
    »Das ist Martha Steiner. Antons Frau.«

E mma versuchte aufzustehen, aber sie brach schon nach ein paar Metern auf dem weißen Teppich zusammen. Martha setzte sich wie ein junges Mädchen neben sie auf den Boden und strich über ihr kurzes
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