Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
Vom Netzwerk:
Haar.
    »Als du bei Bohmann in der Tür gestanden hast, da wusste ich, dass das nicht gut geht mit uns beiden. Dabei bist du mir so ans Herz gewachsen.«
    Emmas Magen krampfte sich zusammen, sie umfasste ihren Körper und krümmte sich. Sie flüsterte:
    »Was hast du mit mir gemacht?«
    »Der grüne Knollenblätterpilz. Wächst im Herbst hier überall im Tiergarten. Ich dachte, was bei Vögeln wirkt, geht auch bei Menschen.«
    Der Tee, dachte Emma. Wie dumm von mir. Sie musste sich übergeben. Grünlich gefärbter Eierreis floss auf den weißen Wollteppich. Als sie wieder sprechen konnte, flüsterte sie:
    »Ruf den Notarzt, Martha. Ich bitte dich.«
    »Rede doch kein dummes Zeug.«
    Emma weinte.
    »Aber du hast mir doch geholfen! Warum hast du das getan?«
    Martha wischte ihr die Tränen von der Wange.
    »Ich musste doch wissen, wie viel du herausbekommst. Und was dir der alte Zausel erzählt. Du bist geschickt, das war mir klar. Irgendwann hätte er dir alles gebeichtet.«
    Emma wurde schwarz vor Augen. Sie zwang sich, eine Hand vom Bauch zu nehmen, und tastete damit über den Boden. Der kleine Steinbock aus Papier kam ihr in den Sinn, der immer noch in der Seitentasche ihrer Jacke lag. Sie hätte ihn längst an Ida schicken sollen. Martha streichelte ihr wieder über das Haar und flüsterte:
    »Es ist gleich vorbei. Bei Bohmann ging es auch schnell.«
    Emma schloss die Augen. Der Schmerz in ihrem Innern ließ nach. Sie fühlte, wie sich eine große Taubheit ausbreitete. Erst spät wurde ihr klar, was Martha gerade gesagt hatte. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen.
    »Wieso Bohmann?«
    »Er wäre doch sowieso gestorben. Hundert Jahre, das ist doch lächerlich.«
    Martha lachte leise, und Emma schloss wieder die Augen. Sie spürte kaum mehr die weiche Wolle unter den Händen. Da stieß sie mit den Fingern an einen glatten Stein. Die Statue von Brancusi. Der Vogel, der für die Freiheit stand.
    Jenni. Rosenberg. Bohmann.
    Und in dem Moment, als Blume durch die Tür brach, zersplitterte der bronzene Vogel die Wand aus Glas in Millionen kleiner Scherben und flog weiter über den Garten von Berlin.

E mma wurde von den Rettungsärzten nach unten getragen. Sie erkannte Schneider, er beugte sich über sie. Er hatte sich durch die Absperrung gedrängt. Sie versuchte etwas zu sagen. Er beugte sich bis dicht an ihr Ohr. Dann richtete er sich wieder auf und nickte. Emma schloss die Augen. Die Türen des Krankenwagens wurden zugeschlagen, mit Blaulicht fuhr er auf die Straße des 17. Juni.
    Blume hatte die beiden beobachtet und stellte sich jetzt zu Schneider.
    »Was hat sie Ihnen gesagt?«
    Schneider grinste.
    »Dass sie mich umbringt, wenn jemand anderes die Geschichte erzählt.«
    Ohne zu lächeln, schaute Blume in das Gesicht des Mannes vor ihm. Komisches Volk, dachte er, diese Journalisten.

E mma brauchte zwei Tage, dann hielt sie nichts mehr im Krankenbett. Noch etwas wacklig auf den Beinen, aber mit kräftiger Stimme saß sie bei Sönke im Studio und erzählte ihm und dem Rest von Berlin die Geschichte um Tom Rosenberg, Heinrich Bohmann und Martha Steiner. Damit sprengte sie alle Formate und Zeituhren, aber niemand, weder Schneider, der höchstpersönlich am Regiepult saß, noch Schulenburg, der mit verschränkten Armen hinter ihm stand, kam auf die Idee, warnend zur Uhr zu zeigen.
    Bisher waren nur Einzelheiten öffentlich gemacht worden, Details, die die Neugierde der Menschen noch mehr weckten. Marthas Verhaftung, die Obduktion von Bohmann, die Anklage, die auf zweifachen Mord und Mordversuch lautete. Schneider führte ein langes Gespräch unter vier Augen mit Schulenburg und überzeugte ihn, dass Emma persönlich alles erzählen musste. Er sprach dabei von dem Potential der Geschichte und der stärkeren Hörerkraft, wenn das Opfer selbst, eine Kollegin, das Ganze erzählte. Nur im Nebensatz ließ er fallen, dass Emma mehr Unterstützung gebraucht hätte, dann wäre sie vielleicht nicht dieser Frau in die Hände gefallen. Schulenburg hörte sich die kleine Rede seines Chefredakteurs schweigend an und stimmte am Ende zu, ob aus geschäftlichem Kalkül oder schlechtem Gewissen, das vermochte Schneider nicht zu sagen, und es war ihm im Grunde auch gleichgültig.
    Seitdem bekannt war, dass sich Emma aus dem Krankenhaus entlassen hatte, klingelte andauernd das Telefon am Platz des Redaktionssekretärs. Alle wollten Exklusivinterviews mit ihr, von den Länderanstalten der ARD bis zum Spiegel . Und nachdem Schulenburg ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher