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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Manfred Schneider, ein Mann um die fünfzig mit schweren Augenlidern, überwachte am Pult die Abfolge der Headlines und kontrollierte das Rotlicht für die Aufnahme. Als Chefredakteur war er für die Planung zuständig und nur noch selten direkt in der Sendung. Aber die Nachmittagsredakteurin hatte heute einen privaten Termin, und Schneider hatte sich bereiterklärt, die letzte Stunde der Sendung zu betreuen. Er merkte, dass es ihm Spaß machte, seinen Chefsessel zu verlassen und für kurze Zeit wieder ein Teil des Teams zu werden. Auch wenn es eine Illusion war, denn keiner der Beteiligten vergaß seine Position.
    Der Nachrichtensprecher moderierte die Kollegin vom Ü-Wagen an. Sie stand heute auf dem Schlossplatz in Mitte, wo die Eröffnungsveranstaltung der neuen Universität abgehalten wurde. Der Bildungssenator hatte seiner Regierungszeit ein Denkmal setzen wollen und die drei Berliner Universitäten genötigt, ihre besten Forschungsleute zu einer Art Elite-Uni zusammenzuführen. Bei der Gründungserklärung hatte es Proteste gegeben. Die Berliner Studenten fürchteten eine Verschlechterung der Lehre, wenn die besten Professoren für diese Elite-Einrichtung abgezogen wurden. Beim Richtfest hatte es sogar eine Bombendrohung gegeben. Auch jetzt berichtete Bente, die Reporterin am Ü-Wagen, von Studentengruppen, die sich mit Trillerpfeifen und Protestbannern vor dem Gebäude versammelt hatten. Ein prominenter amerikanischer Dozent hatte hier heute Abend sogar schon seine Professur zurückgezogen. Ob das mit den Protesten zusammenhinge, sei noch nicht bekannt.
    Die Übertragung war zu Ende, der Nachrichtenmann verlas das Wetter und fuhr den Schlussjingle ab. Schneider kappte die Verbindung zum Ü-Wagen und trug die Länge der Berichterstattung im Sendelaufplan ein. Mittlerweile hatte die Musikmoderatorin der Abendsendung leise den Raum durch die Techniktür betreten und sich am Mikrofon eingerichtet. Jetzt eröffnete sie die Sendung mit einer launigen Begrüßung und dem Versprechen auf zwei Stunden aktueller Popmusik aus Deutschland. Der Nachmittagsmoderator und der Mann für die Nachrichten verharrten lautlos, bis die Kollegin mit ihrer Begrüßung fertig war und die erste Musik abfuhr. Dann erlosch das rote Licht, die Mikrofone im Studio waren stumm geschaltet. Die Männer verabschiedeten sich freundschaftlich von der Abendmoderatorin und verließen das Studio. Schneider sammelte seine Unterlagen ein und stopfte alles in seine Tasche.
    Die rote Lampe des Telefons begann zu blinken, das Display zeigte den Ü-Wagen an. Schneider nahm ab, während er den Kollegen zum Abschied die andere Hand hob.
    »Schneider?«
    »Hier ist Bente noch mal. Dieser amerikanische Professor ist anscheinend verschwunden. Hier ist irgendwas im Busch.«
    »Wie meinst du das?«
    »Hier kommen gerade jede Menge Polizisten und sperren ganz dezent ab. Hast du was in den Agenturen?«
    Schneider wechselte die Oberfläche des Monitors und überflog die Agenturmeldungen der letzten zehn Minuten.
    »Nichts.«
    »Und was sagt uns das?«
    Schneider starrte durch die Glasscheibe auf die Moderatorin. Die verzog bei den ersten Tönen des gerade anlaufenden Popsongs das Gesicht und lachte lautlos. Schneider sah sie nicht. Er trommelte mit dem Stift auf das Telefon.
    »Vielleicht kommt noch jemand Wichtiges?«
    »Seit wann sind die denn scharf drauf, dass wir das nicht mitkriegen?«
    Schneider drehte den Stift zwischen seinen Fingern. Bente war eine seiner erfahrenen Reporterinnen, keine, die unnötig Wirbel machte. Er schätzte ihren Spürsinn.
    »Kannst du bleiben?«
    »Das geht nicht«, ihre Stimme klang gepresst. »Mein Mann ist nicht da, ich muss die Kinder holen. Und der Techniker will auch los.«
    »Scheiße.«
    Die Toningenieure waren fest angestellt, sie arbeiteten nach Dienstplan und keiner war bereit, länger zu arbeiten, wenn es unvorhergesehene Ereignisse gab. Schneider konnte das verstehen. Wer den kleinen Finger reichte, wurde ausgenutzt. Wie oft hatte er als Redakteur früher versucht, den Ü-Wagen etwas früher und etwas länger einzusetzen, um den Live-Charakter seiner Sendung zu stärken.
    »O.k., macht Schluss, ich werd mir was überlegen.«
    »Alles klar, Manni. Bis morgen.«
    Schneider blieb noch einen Moment sitzen und dachte nach. Dann stand er mit einem Ruck auf, so dass die Moderatorin mitten im Satz erschrocken hochschaute. Der Redakteur winkte beruhigend und verließ eilig den Regieraum.
    Das Großraumbüro der aktuellen
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