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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Gelände.«
    Ächzend erhob sich der Rechtsmediziner.
    Kommissar Edgar Blume atmete hörbar durch die Nase ein.
    »Was ist das hier für ein Geruch?«
    »Aceton.«
    Der Rechtsmediziner zog mit einem schnappenden Geräusch den Gummihandschuh von den Fingern.
    »Aceton strömt der Körper aus, wenn er überzuckert ist, wenn ein Diabetiker also kein Insulin zu sich nimmt, um seinen Zuckerpegel zu stabilisieren.«
    »Und was ist das?«
    Blume zeigte auf die Tasche mit den Patronen, die die Leute von der Spurensicherung gerade in Plastikbeutel verpackten.
    »Insulin. Drei volle Ampullen.«
    »Warum hat er es nicht genommen?«
    »Gute Frage.«
    Der Rechtsmediziner strich seine Hose glatt. Unter dem Kittel trug er einen eleganten Abendanzug. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und seufzte.
    »Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Entweder ist das Insulin erst später hier abgestellt worden …«
    Blume sah den Rechtsmediziner stirnrunzelnd an. Unwahrscheinlich, dachte er.
    »Oder?«
    »Oder das Insulin hat nicht gewirkt.«
    »Was glauben Sie?«
    »Letzteres. Schauen Sie mal.«
    Der Mediziner winkte dem Beamten, der die Insulinpatronen einpackte. Er nahm die Plastiktüte und hielt sie Blume unter die Augen.
    »Sehen Sie die Schlieren? Das Eiweiß ist kurz vor dem Ausflocken. Die Mischung ist vermutlich erhitzt worden.«
    Er reichte die Tüte wieder an den Polizisten.
    »Ich denke, er hat sich hier Insulin gespritzt und als es nicht die übliche Wirkung hatte, noch mal nach einer Patrone gegriffen. Zu dem Zeitpunkt war er vermutlich schon überzuckert und körperlich geschwächt. Vielleicht hat er dann festgestellt, dass die Tür verschlossen war.«
    Die Polizisten überblickten den kleinen fensterlosen Raum. Das rote Kreuz vorne an der Tür zeigte an, dass hier ein Erste-Hilfe-Raum eingerichtet werden sollte. Der Mann war eingesperrt gewesen. Mit einer Schreibtischlampe hatte er tiefe Schrammen in die Tür und in die Heizungsrohre geschlagen. Seine Hand hing schlaff vom Bügel der Lampe herunter. Er war mit ausgestrecktem Arm zusammengebrochen. Fast sah es aus, als hätte er nur ein Schläfchen gehalten und reckte sich jetzt zur Lampe, um Licht zu machen. Seine Augen standen offen. So hatte ihn der Wachschutz gefunden.
    Blumes Assistent Hans Erkenschwick betrat den Raum. Der Kommissar wandte sich ihm zu.
    »Warum hat ihn niemand früher entdeckt?«
    Erkenschwick fuhr sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Wie immer begleitete ihn ein leichter Schweißgeruch, der sich nun mit dem Aceton mischte. Der Gerichtsmediziner zog die Nase kraus, Blume blieb ohne Regung. Er hatte sich daran gewöhnt. Umständlich steckte Erkenschwick das Tuch wieder in seine Hosentasche.
    »Sie waren alle bei dem Empfang. Eine Angestellte hat kurz vor seinem Verschwinden mit ihm gesprochen. Sie sagt, er wollte einen Moment alleine sein. Sie können sie sprechen, sie wartet vorne auf Sie.«
    »Gut.«
    Blume schaute noch einmal auf die Leiche. Ein Assistent der Pathologie hob den Kopf an und strich vorsichtig eine rote Haarsträhne nach hinten. Dann legte er den Körper zurück in den offenen Plastiksack und zurrte den Reißverschluss zu.
    Der Rechtsmediziner hob müde die Hand zum Gruß.
    »Bis morgen früh.«
    Blume nickte. Er verließ mit Erkenschwick den Raum.
    »Zeigen Sie mir die Frau. Und erzählen Sie mir unterwegs, was wir über den Toten wissen.«
    Erkenschwick ging Blume voraus den linken Gang hinunter. Dabei zog er ein kleines Notizbuch mit Plüschumschlag aus der Tasche. Blume verzog spöttisch das Gesicht, sagte aber nichts.
    »Tom Rosenberg, 45 Jahre, Amerikaner. Bestsellerautor.« Der Assistent öffnete eine Glastür und führte Blume durch einen weiteren langen Gang.
    »Er sollte hier an der neuen Uni eine Gastprofessur übernehmen. Hat die aber heute Abend überraschend abgesagt.«
    Ihre Absätze hallten durch den leeren Flur. Blume musterte im Vorbeigehen die blütenweißen Wände. Es roch nach Farbe. Bald würden junge Leute die Flure bevölkern, Männer und Frauen, die später vielleicht in der Regierung oder in der Wirtschaft auch sein Leben mitbestimmten. Blume fragte sich plötzlich, wo er heute stünde, wenn er nicht in den Polizeidienst getreten wäre, sondern an einer Elite-Universität wie dieser studiert hätte. Er öffnete zur Probe einige Bürotüren. Die meisten Räume waren leer, manchmal stand bereits ein Tisch oder ein Regal darin. Nirgendwo steckte ein Schlüssel.
    »Wer hat die Schlüssel zu den
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