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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Schulter warf der Professor einen Blick auf die Szene. Der Präsident redete auf Rosenberg ein. Der stand mit halbgeschlossenen Augen da und wankte leicht. Besorgt sprach ihn die Referentin an. Rosenberg sagte ein paar Worte zu ihr. Die Referentin nickte und führte ihn zur Glastür. Dort fasste Rosenberg sie kurz am Ärmel. Wieder sagte er etwas. Die Frau blieb stehen. Rosenberg verschwand durch die Tür.
    Das Geraune im Saal steigerte sich zu einem Tumult.
    Die Frau neben dem Professor beugte sich über den Stehtisch. Dabei geriet ihr Busen auf die Tischplatte und wurde leicht nach oben gedrückt.
    »Na, das ist ja eine Überraschung. Was soll man denn davon halten?«
    Der Professor betrachtete sie lächelnd.
    »Ich denke, der Mann ist feige. Sich hinzusetzen und ein Buch auf Kosten anderer zu schreiben ist eben doch einfacher, als zweihundert Studenten gegenüberzustehen.«
    Die Frau musterte das Gesicht des Professors. Sie trat einen Schritt zurück und nahm einen tiefen Zug aus ihrem Glas. Als sie es absetzte, war der Lippenstift an ihrem Mund verwischt. Sie tupfte über ihre Lippen und sagte spitz:
    »Nun, ganz so einfach ist die Sache wohl nicht.«
    Mit einer halben Drehung wandte sie sich vom Professor ab und fing ein Gespräch am Nebentisch an. Der Professor hielt sein Lächeln bei und schwenkte sein Champagnerglas. Als er merkte, dass es bereits leer war, stellte er es behutsam ab und verließ mit schleppendem Gang den Saal.

D er Sender war in den obersten Stockwerken eines Einkaufszentrums untergebracht. Jetzt am Morgen herrschte hier noch wenig Betrieb. Durch die Lautsprecheranlage dröhnten Popsongs, unterbrochen von Sonderangeboten der Läden.
    Drei Mädchen in identischen Miniröcken fuhren vor Emma die Rolltreppe nach oben. Wegen der Lautstärke der Beschallung unterhielten sie sich laut über das Fernsehprogramm am Vorabend. Emma wechselte ihre Tasche von der rechten zur linken Schulter. Sie hatte alles eingepackt, Aufnahmegerät, Mikrofon, Block, Kalender und Mobiltelefon. Fast hätte sie aus Routine noch das dicke Adressbuch dazugelegt. Darin standen die Kontaktdaten wichtiger Ansprechpartner, von der Polizei und der Feuerwehr, Handynummern von Bezirkspolitikern und Wirtschaftsfachleuten. Das Buch hatte sie über Jahre zusammengestellt und die Nummern aus lauter Sentimentalität nicht in ihr Handy übertragen. Doch hier in Berlin nutzten ihr die alten Kontakte nichts.
    Oben zeigte sie dem Pförtner ihren Presseausweis und wurde von ihm nach links geschickt. In den Räumen der Redaktion stand sie etwas verloren an der Tür, bis ein cirka 30jähriger Mann die Zeit fand, sie zu begrüßen. Er sagte, er heiße Sebastian und sei der Redaktionsassistent. Er war es auch, der sie in der Morgensitzung als neue freie Mitarbeiterin vorstellte.
    Sie murmelte einige Worte zur Begrüßung und setzte sich auf einen freien Platz in einer Ecke. Im Laufe des Tages wurde sie durch die Räume geführt und hörte sich verschiedene Beiträge auf dem Computer an, um das Tempo und die Wortwahl auf der Welle zu erfassen. Gegen halb zwölf holte sie sich vom Frühstücksbuffet aus der Kantine ein Brötchen mit Käse, dessen Rand sich schon nach oben wellte. Als Kollegen sie eine Stunde später einluden, zum Essen mitzukommen, sagte sie, sie hätte keinen Hunger. Am Nachmittag bekam sie einen kleinen Job, ein Zusammenschnitt für den nächsten Morgen. Sie war erleichtert, denn Geld gab es nur, wenn etwas über den Sender lief. Darauf muss ich jetzt achten, dachte sie.
    Gegen Abend verlangsamte sich das Arbeitstempo. Viele Kollegen hatten ihre Beiträge für den Tag abgeliefert. Sie blieben an den Schreibtischen stehen, fingen an zu plaudern oder verabredeten sich auf ein Feierabendbier.
    Immer öfter spürte Emma neugierige Blicke. Ein älterer Kollege fragte sie gleich zweimal, ob er ihr alles zeigen solle. Emma lehnte jedes Mal ab und sprach von der Arbeit für das Frühprogramm, die sie noch erledigen musste. Der Mann schlenderte von Tisch zu Tisch und behielt sie im Auge. Auf dem Rückweg blieb er wieder neben ihr stehen. Was sie denn hierhergeführt hätte, wollte er wissen. Er lächelte, und seine Augen glänzten vor Neugier. Emma spürte, wie die Gespräche um sie herum leiser wurden. Wenn sie noch der Mensch von früher gewesen wäre, dann hätte sie jetzt gelacht.
    Sie stand auf und fragte leise nach dem Weg zur Toilette.

V ielleicht eine Stunde. Der Mann war Diabetiker. Zuckerschock und dann Ende
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