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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht
Autoren: Jessica Shirvington
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KAPITEL EINS
    »Nach außen hin, unter Seinesgleichen, unter
Fremden, muss man den äußeren Schein wahren,
es gibt hundert Dinge, die man nicht tun
kann; doch im Inneren herrscht die schreckliche
Freiheit!«
    RALPH WALDO EMERSON
     
    G eburtstage sind überhaupt nicht mein Ding. Es ist schwer, sich auf den Todestag seiner eigenen Mutter zu freuen. Nicht dass ich mir die Schuld dafür geben würde, dass sie nicht mehr da ist. Niemand konnte ahnen, dass sie meine Geburt nicht überleben würde. Es ist auch nicht so, dass ich sie vermisse. Ich meine, ich kenne sie ja überhaupt nicht. Aber jedes Jahr an diesem Tag stehe ich irgendwann vor der Frage, ob es das wert war. War mein Leben es wert, dass ihres dafür genommen wurde?
    Ich starrte aus dem Busfenster, um auf andere Gedanken zu kommen. Steph plapperte weiter, irgendetwas über das perfekte Kleid, und war völlig vertieft in das, was sie gerade sagte. Sie war unerbittlich, wenn es um die hohe Kunst des Shoppens ging. Ich spürte ihren Blick auf mir, voller Enttäuschung über meinen Mangel an Begeisterung. Gebäude blitzten im Rahmen des verschmierten Busfensters auf und zogen vorüber und unwillkürlich wünschte ich mir, dass mein siebzehnter Geburtstag morgen ebenso rasch und schemenhaft vorbeiziehen möge.
    »Violet Eden!«, sagte Steph streng und riss mich dadurch aus meiner Trance. »Wir haben die American-Express-Karte von deinem Dad, grünes Licht und kein festgelegtes Limit.« Ihre vorgetäuschte Strenge verwandelte sich in ein hinterhältiges Grinsen. »Kann man sich ein besseres Geburtstagsgeschenk vorstellen?«
    Streng genommen war es meine American Express. Mein Name, meine Unterschrift. Sie lief nur zufällig über Dads Konto. Eine Nebenwirkung, wenn man die einzige Person zu Hause war, die dafür sorgte, dass die Rechnungen bezahlt wurden.
    Ich wusste, dass mich Steph nicht verstehen würde, wenn ich ihr sagte, dass ich nicht in Stimmung wäre, deshalb log ich: »Ich kann heute nicht shoppen gehen. Ich … ähm … muss ins Training.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch und schaute mich an. Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde meine Ausrede hinterfragen. Aber dann wechselte sie zu einem Thema, das wir in letzter Zeit immer öfter diskutierten.
    »Mit Lincoln?«
    Ich zuckte die Achseln und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie allein schon die Erwähnung seines Namens auf mich wirkte. Das mit dem Training stimmte zwar nicht, aber ich hatte tatsächlich vor, ihn später zu treffen, und gab mir schon die größte Mühe, nicht jede Minute bis dahin zu zählen.
    Steph rollte die Augen. »Also wirklich! Irgendwann werde ich ihm sagen, dass du lieber auf eine andere Art und Weise mit ihm ins Schwitzen geraten würdest!« Sie bedachte mich mit diesem fiesen Lächeln, das sie normalerweise für andere Leute reserviert hatte.
    Ich lehnte mich zurück und wartete, bis sie fertig war. Das war einfacher. Steph kapierte es einfach nicht, und das konnte ich ihr nicht übel nehmen – ich hatte ihr nie alle Gründe dafür genannt, weshalb das Training so wichtig für mich war. Über manche Dinge konnte ich einfach nicht sprechen.
    »Aber du merkst schon, dass du dich so langsam in einen dieser Sportfreaks verwandelst, oder? Und tu bloß nicht so, als würde dir das alles Spaß machen. Ich weiß ganz genau, dass du Langstreckenlauf hasst.« Steph konnte einfach nicht verstehen, dass jemand lieber klettern oder boxen ging als zu shoppen.
    »Es macht einfach Spaß, mit ihm zu trainieren«, sagte ich in der Hoffnung, das Thema damit zu beenden, auch wenn sie mit dem Langstreckenlauf nicht ganz unrecht hatte. Wenn ich nicht die ganze Zeit auf Lincolns Hintern starren könnte, wäre ich wahrscheinlich nicht so motiviert.
    Ich kramte in meinem Rucksack herum, der mit all den Büchern vollgestopft war, die sie einem am Ende des Schuljahrs aufs Auge drückten. Steph schien sich nicht vom Thema abbringen zu lassen.
    »Man könnte meinen, er trainiert dich für einen Kampfeinsatz oder so was.« Ihre Augen leuchteten auf. »Hey, vielleicht leitet er einen illegalen Schlägertrupp und versucht, dich dafür aufzubauen!«
    »So wird es sein, Steph. Ganz bestimmt.«
    Ich wollte nicht darüber reden. Wollte nicht zugeben, dass ich am liebsten rund um die Uhr bei Lincoln gewesen wäre. Als würde etwas tief in mir Trost in seiner Anwesenheit finden.
    In den Besten von allen verknallt, Vi!
    Wirklich Pech, dass es aussichtslos war. Das war es schon von dem Moment an, als
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