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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht
Autoren: Jessica Shirvington
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ich ihn vor zwei Jahren kennenlernte. Er stieß etwas verspätet zu dem Selbstverteidigungskurs, für den ich mich angemeldet hatte.
    Eigentlich dachte ich, es wäre nur wieder einer meiner Versuche, fit und stark zu werden, aber es wurde sehr viel mehr, als er mein Trainingspartner wurde.
    Ich fand nie heraus, weshalb Lincoln den Kurs belegt hatte. Offensichtlich wusste er mehr als der Lehrer und absolvierte die Übungen mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die klarmachten, dass er in einer anderen Liga spielte. Nach den ersten paar Wochen, als ich schließlich in der Lage war, mehr als zwei Wörter in seiner Gegenwart aneinanderzureihen, fragte ich ihn, weshalb er da war. Er tat es ab und sagte, dass es immer gut wäre, einen Auffrischungskurs zu machen.
    Am Ende des dreimonatigen Kurses hatte ich mehr von ihm gelernt als vom Lehrer, und er bot an, mir Unterricht im Kickboxen zu geben. Dadurch hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich wurde jeden Tag stärker – die Liste unserer Sportarten weitete sich auf Klettern, Laufen und sogar Unterricht im Bogenschießen aus – und ich konnte mit Lincoln zusammen sein. Es war perfekt … beinahe jedenfalls.
    »Na gut, das heißt wohl, dass wir erst morgen shoppen gehen«, schmollte Steph, konnte es aber nicht lange durchhalten. Sie konnte einem nie lange böse sein.
    Leider hatte sie recht. Ich wusste, dass Dad ihr wegen meiner Lustlosigkeit und seines Mangels an Know-how strenge Anweisungen gegeben hatte, weil er sichergehen wollte, dass ich für mein Geburtstagsessen morgen Abend ein neues Kleid hatte. Die Zeit lief – shoppen war unumgänglich.
    »Ich kann es kaum erwarten«, sagte ich und warf ihr ein gut einstudiertes falsches Lächeln aus meinem Geburtstagsrepertoire zu.
    Es klingelte, weil eine Gruppe Jugendlicher auf den Halteknopf gedrückt hatte. Der Bus wurde langsamer, Steph stand von unserem Sitz in der dritten Reihe von hinten auf. Sie war davon überzeugt, dass nur die Möchtegern-Coolen ganz hinten saßen. Die Streber saßen ganz vorne, gleich dahinter die Goths und die Durchgeknallten. So blieben nur drei Reihen, in die wir uns setzen konnten, um zu zeigen, dass wir nicht zu denen gehörten, die versuchten cool zu sein, sondern dass wir einfach nichts dafür konnten, dass wir es waren. Das Ironische daran war, dass Steph die größte Streberin war, die ich jemals kennengelernt hatte – wenn man mal ausschließlich von ihren Noten ausging. Natürlich würde sie niemals an die große Glocke hängen, dass sie so etwas wie ein Genie war.
    Sie wickelte ihren schmalen Körper um die Metallstange an den Türen, setzte ihre Lieblingssonnenbrille von D&G auf und warf mir eine Kusshand zu. Ich lachte. Glücklicherweise ließ sich Steph nicht nur auf Marken reduzieren. Dafür, dass sie mit einer kompletten Designerausstattung herumlief, war sie erstaunlich ausgeglichen. Dass sie aus einer schwerreichen Familie stammte und für gewöhnlich Kleider trug, die so viel kosteten wie mein ganzer Kleiderschrank zusammengenommen, wirkte sich nicht nachteilig auf unsere Freundschaft aus. Ich machte mir nicht allzu viel aus materiellem Besitz, und ihr machte es nicht allzu viel aus, dass das so war.
    »Tust du mir einen Gefallen?«, fragte sie, während sie zur Tür hinausging. Dabei nahm sie keinerlei Notiz davon, dass sich hinter ihr die Jugendlichen wie Sardinen in einer Dose zusammendrängten. »Wenn du hier schon die ganze Zeit Mr Fantastic ansabberst, dann tritt ihm wenigstens ab und zu ordentlich in den Magen dafür, dass er deine ganze Freizeit in Anspruch nimmt und meine beste Freundin mit Beschlag belegt.«
    »Geht klar«, sagte ich und warf ihr ebenfalls eine Kusshand zu. Mein schlechtes Gewissen darüber, dass ich meine beste Freundin angelogen hatte, unterdrückte ich dabei.

KAPITEL ZWEI
    »Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.«
    GENESIS 9, 13
     
    A nstatt nach Hause in die leere Wohnung zu gehen, ertappte ich mich dabei, wie ich den Weg zu Dads Büros einschlug. Ich war mir nicht sicher, warum. Auf dem Weg hinauf in den vierten Stock piepste mein Handy. Eine SMS von Lincoln.
    Bin bisschen spät dran. Um 7 bei mir?
    Ich lächelte das Handy an, während meine Finger eilig über die Tastatur huschten.
    Ja – wir treffen uns dann dort!
    Dann löschte ich das Ausrufezeichen und zählte bis dreißig, bevor ich mir erlaubte, auf »senden« zu drücken.
    Meine Beziehung zu Lincoln
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