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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Viertelstunde. Oder doch eher zwanzig Minuten. Jedenfalls bin ich dann noch mal suchen gegangen. Ich fand das Ganze plötzlich komisch. Ich wusste ja, dass er Diabetiker ist und dachte, er braucht vielleicht Hilfe. Ich hab dem Wachschutz Bescheid gesagt. Und die haben ihn dann ja auch gefunden.«
    Die Frau schwieg. Blume betrachtete sie. Irgendetwas schien sie noch zu beschäftigen.
    »Sind Sie jemandem begegnet? Ich meine, als Sie ihn suchen waren. Oder ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«
    Anne Friedrich schüttelte langsam den Kopf. Blume rückte noch etwas näher an sie heran.
    »Frau Friedrich, der Erste-Hilfe-Raum, in dem wir Tom Rosenberg fanden, war von außen abgeschlossen, der Schlüssel ist verschwunden. Rosenberg hat versucht herauszukommen. Er hat sicher laut um Hilfe geschrien, er hat mit einer Schreibtischlampe und einem Stuhl gegen die Tür geschlagen. So lange, bis er zu schwach dafür wurde. Vielleicht hat jemand sich an seinem Insulinvorrat zu schaffen gemacht. Dieser Jemand muss ihm also ziemlich nahe gekommen sein. Haben Sie einen Verdacht, wer das getan haben könnte?«
    »Nein.«
    Blume ließ sich in den Stuhl zurückfallen und seufzte.
    »Warum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie beschäftigt?«
    Wieder strich sich die Frau über die Oberlippe. Als sie weiterredete, sah sie an dem Kommissar vorbei auf die Gäste.
    »Es hat Zwischenfälle gegeben. Der Präsident will nicht, dass davon was an die Öffentlichkeit kommt.«
    »Was für Zwischenfälle?«
    »Schmierereien, anonyme Anrufe. Verrecke, du gehörst ins KZ und so was …«
    Blume war mit einem Mal hellwach.
    »An einer Uni wie dieser?«
    »Deshalb sollte es ja auch keiner mitbekommen.«
    »Soll das heißen, dass Rosenberg …«
    »Er war Jude, ja. Das ist doch allgemein bekannt.«
    Blume stand auf und ging rasch einmal um seinen Stuhl herum. Die Frau betrachtete ihn schweigend. Als er sich ihr wieder zuwandte, blieb er stehen, so dass er auf sie herunterschauen konnte.
    »Glauben Sie, er hat deswegen die Stelle hier abgelehnt?«
    Anne Friedrich zögerte. Sie wollte nichts falsch machen. Dann sah sie zu ihm auf.
    »Nein. Das glaube ich nicht.«
    »Warum sind Sie sich so sicher?«
    »Er hat darüber gelacht. Er hat gesagt, in Berlin leben rund 10.000 Juden, da wäre schon noch Platz für einen mehr.«
    Sie ließ den Kopf wieder sinken. Sie flüsterte.
    »Er hat das überhaupt nicht ernst genommen.«
    Blume stand noch immer vor ihr. Jetzt reichte er ihr seine Visitenkarte.
    »Bitte melden Sie sich morgen früh in meiner Abteilung. Wir müssen das zu Protokoll nehmen. Und bringen Sie eine Liste von den Leuten mit, die einen Zentralschlüssel haben.«
    Blume wandte sich ab.
    Anne Friedrich sprang auf, die kleine Karte in der Hand.
    »Was soll ich denn jetzt tun?«
    Blume drehte sich um und schaute sie prüfend an.
    »Vielleicht sollten Sie die Feier beenden. Hier ist gerade ein Mensch gestorben.«
    Die Frau wurde rot, fragte tapfer weiter.
    »Was soll ich dem Präsidenten sagen? Die Presse wird sich bald melden. Bestimmt ist schon durchgesickert, dass Rosenberg die Professur abgesagt hat.«
    Blume wurde langsam ungeduldig.
    »Ich muss mich jetzt um diesen Clubraum kümmern. Der Präsident soll um Himmels willen keinen Alleingang vor der Presse machen.«
    Er beobachtete die Referentin und erkannte, dass sie mit der Situation überfordert war. Er seufzte.
    »Sagen wir in einer Stunde. Wenn dann die Journalisten da sind, wovon ich ausgehe, dann rede ich kurz mit ihnen. Wir werden den Tod nicht verschweigen können. Aber alles andere hat Zeit bis morgen früh.«

N och fünfzig Sekunden.
    Der Nachrichtensprecher überprüfte die Monitore, die das aktuelle Wetter, die Börse und die Benzinpreise anzeigten. Die einzelnen Meldungen hatte er in den Sendeablauf eingefügt, so dass er sie gleich im Studio vom großen Bildschirm ablesen konnte. Nur ein Live-Take zum Übertragungswagen war noch offen.
    Dreißig Sekunden.
    Jetzt ging er die paar Schritte ins gegenüberliegende Sendestudio. Am Regiepult saß heute Chefredakteur Schneider. Er hob grüßend die Hand, als der Nachrichtensprecher an ihm vorbei die schwere Glastür zum Studio aufzog.
    Zehn Sekunden.
    Der Moderator goss den letzten Tropfen Kaffee aus der Thermoskanne. Müde nickte er dem Nachrichtensprecher zu. Nach drei Stunden guter Laune war er ausgelaugt. Mit den Nachrichten endete seine Schicht.
    Neunzehn Uhr.
    Aus dem Radio ertönte die Anfangsmelodie der Nachrichtensendung vom Tage.
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