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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Autoren: Maximo Duncker
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reisefreudige Jugend Europas Kreuzberg heim, das angrenzende Friedrichshain und das nördliche Neukölln, das bereits am gegenüberliegenden Kanalufer begann. Doch sie hatte nicht nur Unbeschwertheit und Lebensfreude im Gepäck. Einige, man munkelte vor allem Dänen und Spanier, besaßen auch äußerst vermögende Eltern, mit denen zusammen sie in jedem folgenden Herbst in die Stadt zurückkehrten, um die Büros der Immobilienverkäufer zu überrennen, auf der Suche nach billigen Wohnungen, die sie in den coolsten Vierteln der coolsten Stadt Europas, ja der Welt, wie ihr Nachwuchs behauptete, erwerben könnten. Diese leger gekleideten, alles andere als reich wirkenden Paare mit ihrem perfekten Englisch, das kongenial mit ihrem perfekten Understatement harmonierte, hatten dafür gesorgt, dass Kai und Constanze van Harm, die sich nach fünfzehn Jahren gemeinsamer Mietwohnung endlich doch entschlossen hatten, eine renovierte Viereinhalbzimmer-Altbauwohnung aus der Gründerzeit zu kaufen, einhundert-bis einhundertfünfzigtausend Euro mehr abstottern mussten, als es noch vor fünf Jahren für ein derartiges Objekt üblich gewesen wäre. Dafür war ihr Bauernhaus in Altwassmuth abbezahlt, einer kleinen Gemeinde am Oderbruch, nahe der polnischen Grenze, wenngleich es weder vollständig restauriert noch komplett eingerichtet war. Aber anders als früher fuhren sie nur noch einmal im Monat für ein verlängertes Wochenende dorthin. Manchmal sogar seltener, und die Kinder kamen ohnehin schon lange nicht mehr mit.
    Allerdings verdienten sie beide nicht schlecht, eher deutlich über dem Durchschnitt, wenn man ihr Einkommen mit den Statistiken auf den Wirtschaftsseiten verglich, Constanze noch ein wenig mehr als Kai, weshalb es eigentlich keinen Grund gab, sich die schönen, lichten Erinnerungen an den Sommer am Kanal von den niedrigen Gedanken an das schnöde Geld verderben zu lassen. Erinnerungen, die an einem klirrenden, deprimierenden Wintermorgen wie diesem tatsächlich wärmen konnten. Das Herz, die Seele, was auch immer.
    Weil ihm dennoch beim Laufen immer kälter geworden war, zog jetzt auch van Harm den Kopf zwischen die Schultern, presste die rindslederne, handgenähte Aktentasche, ein Weihnachtsgeschenk Constanzes, die nichts außer seinem Notebook enthielt, enger an den Körper und beschleunigte seinen Schritt. Er wirkte jetzt wie ein sehr energischer Mann, der schnell und bestimmt an ein wichtiges Ziel kommen will und diesen Willen rigoros durchzusetzen weiß. Was den einen oder anderen der schluffigen Passanten, die ihn bislang allesamt ignoriert hatten, nun doch bewog, ihm einen flüchtigen Blick zuzuwerfen, der offenbar mal Abscheu, dann wieder Bewunderung auszudrücken schien.
    Obwohl ihm der aggressive Charakter so manchen Blicks nicht entging, beschloss van Harm, nicht nach den Gründen zu forschen, sondern sich stattdessen seelisch auf den Artikel einzustellen, den er bis zum Mittag beendet haben musste und dessentwegen er um diese unchristliche Zeit durch die frostigen Straßen schritt. Ein paar Meter nur noch, dann war er in der Redaktion und würde sich, bevor er sich an die Arbeit machte, bei einem frisch gebrühten Espresso aufwärmen.
    Van Harm bog aus einer ruhigen, noch dämmernden Wohnnebenstraße auf die vierspurige Hauptstraße ein, in der sich das Redaktionshaus befand.
    Es war eine der hässlichsten Straßen des Viertels. Fünfziger-Jahre-Neubauten in aschefarbenem Waschbeton füllten gut die Hälfte der Lücken, die die alliierten Bomber in die Gründerzeitfronten gerissen hatten. Die andere Hälfte war in den späten Siebzigern, in den Achtzigern und selbst noch in den Neunzigern mit dem Ramsch vom Architektur-Discounter zugestellt worden. Baumarktflair, dem sinnlose Zierleisten und Balkonverkleidungen in Türkis oder Pink als Dekor dienten. Doch auch die asymmetrischen Fronten, die frei geformten Fenster ohne rechte Winkel, keine der abgeschmackten Hundertwasserreminiszenzen in Plastik und lackiertem Blech hatte verhindern können, dass sich in den Erdgeschossläden nur zwielichtiges, im besten Fall prekäres, aber immer doch prestigeloses Business angesiedelt hatte. So gab es neben Änderungsschneidereien, Gemüseläden, türkischen Friseuren, Reisebüros und Dönerbuden vor allem Telefonkartenläden und Aberdutzende Secondhanddealer, die in den vergitterten Schaufenstern ihrer Buden elektronisches Gerümpel verdächtiger Qualität und unklarer Herkunft stapelten. Handys, Spielekonsolen und
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