Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben
Autoren: Malla Nunn
Vom Netzwerk:
1 Südafrika, 1952
    Detective Sergeant Emmanuel Cooper stellte den Motor ab und blickte durch die schmutzige Windschutzscheibe. Er steckte mitten im tiefsten Busch. Tiefer ging es nicht, es sei denn, man hätte die Zeit bis zu den Zulu-Kriegen zurückgedreht. Doch die zwei rechts neben ihm abgestellten Ford-Pickups, der weiße Mercedes und ein Polizei-Transporter erinnerten ihn daran, dass er sich im 20. Jahrhundert befand. Auf einer Anhöhe weiter vorn stand von ihm abgewandt eine Gruppe schwarzer Landarbeiter. Was dahinter lag, wurde von ihren muskulösen Oberkörpern verdeckt.
    Emmanuel schaute hinaus auf die heißen, grünen Hügel und entdeckte zwischen fünfzehn abgemagerten Kühen einen scheuen Hirtenjungen, der ihn anstarrte, und einen für eine solch gottverlassene Gegend ungewöhnlichen Menschenauflauf.
    Dann handelte es sich wohl doch nicht um blinden Alarm, wie das Bezirksdezernat vermutet hatte. Auf dieser Farm hier war tatsächlich ein Verbrechen verübt worden. Emmanuel stieg aus dem Wagen und nickte Frauen und Kindern zu, die im Schatten eines wilden Feigenbaums kauerten. Einige von ihnen nickten höflich, aber ängstlich schweigend zurück. Emmanuel versicherte sich, dass er sein Notizbuch, seinen Federhalter und seine Waffe dabeihatte.
    Ein alter Schwarzer in einem zerlumpten Overall trat aus dem Schatten des Polizei-Trucks. Mit dem Hut in der Hand kam er näher.
    »Sind Sie der Baas aus Jo’burg?«, fragte der Schwarze.
    »Bin ich«, antwortete Emmanuel, warf einen Blick zurück zum Wagen und steckte die Schlüssel in seine Jackentasche.
    »Der Polizist sagt, Sie sollen zum Fluss kommen.« Mit einem knochigen Finger deutete der Alte in Richtung der Landarbeiter, die auf der Kuppe standen. »Sie müssen bitte mit mir kommen, ma’Baas.«
    Der Alte ging voraus, und Emmanuel folgte ihm auf die Landarbeiter zu, die sich nun zu ihm umwandten. Beim Näherkommen studierte er ihre Gesichter und versuchte die Stimmung abzuschätzen. Hinter ihrem Schweigen spürte er die Angst.
    »Sie müssen dahinten hin, ma’Baas.« Der Alte wies auf einen schmalen Pfad, der sich durch das hohe Gras bis zum Ufer eines breiten, glitzernden Flusses schlängelte.
    Emmanuel nickte zum Dank und folgte dem Trampelpfad. Eine Brise raschelte im Buschwerk, und zwei Gimpel flogen auf. Er roch die feuchte Erde und das zertrampelte Gras und fragte sich, was ihn dort unten erwartete.
    Am Ende des Pfades erreichte er einen Fluss und spähte hinüber zum jenseitigen Ufer. Unter dem klaren Himmel schimmerte ein Streifen niedrigen Buschlands. In der Ferne ragten am Horizont die zerklüfteten blauen Gipfel einer Bergkette auf. Afrika pur. Genau wie die Fotos in den englischen Zeitschriften, die von den Vorzügen der Auswanderung schwärmten.
    Ein schöner Ort, um zu sterben, dachte Emmanuel, während er langsam am Ufer entlangging. Zehn Schritte weiter vorn sah er die Leiche und begriff, weshalb die Landarbeiter solche Angst hatten.
    Nicht weit vom Ufer entfernt trieb kopfüber ein Mann, die Arme ausgebreitet wie ein Fallschirmspringer im freien Fall. Sofort registrierte Emmanuel die Polizeiuniform. Ein Captain. Breitschultrig und kräftig, das blonde Haar kurz geschoren. Kleine silbrige Fische umtanzten etwas, das aussah wie ein Einschussloch im Kopf, und eine zweite klaffende Wunde mitten auf dem breiten Rücken der Leiche. Ein Schilfgestrüpp hielt den Körper in der Strömung fest.
    Eine blutgetränkte Decke und eine umgekippte Laterne mit niedergebranntem Docht ließen einen Angelplatz vermuten. Im groben Sand lagen vertrocknete, aus einem Geleeglas verschüttete Würmer.
    Emmanuel blieb stehen. Er spürte, wie sein Herz in der Brust hämmerte. Man hatte ihn allein losgeschickt, um den Mord an einem weißen Police Captain aufzunehmen.
    »Sind Sie der Detective?« Die auf Afrikaans gestellte Frage klang, als spräche ein bockiger Schuljunge mit seinem Direktor.
    Emmanuel wandte sich um. Vor ihm stand ein schlaksiger Teenager in Polizeiuniform. Ein breiter Ledergürtel fixierte die blaue Baumwollhose und die Jacke an seinen schmalen Hüften. Auf den Wangen spross spärlicher Flaum. Die Politik der National Party, auch Afrikaander zum öffentlichen Dienst zuzulassen, war also inzwischen auf dem Land angekommen.
    »Ich bin Detective Sergeant Emmanuel Cooper.« Emmanuel streckte die Hand aus. »Sind Sie der für den Fall zuständige Beamte?«
    Der Junge errötete. »Ja, ich bin Constable Hansie Hepple. Lieutenant Uys ist noch zwei Tage
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher