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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Autoren: Maximo Duncker
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aus eigener Amüsierwut heraus als um Constanze zu begleiten, mit der er zu jener Zeit noch nicht mal eine feste Beziehung führte, geschweige denn, dass ihre Heirat auch nur in den Sternen gestanden hätte.
    Vor zwei Jahren hatte es van Harm aufgegeben, den Jahresurlaub im Sommer zu nehmen, der einzigen Zeit, in der es in Berlin trotz der oft drückenden Hitze und des manchmal wochenlangen schwülen Wetters gut auszuhalten war. Janne und Erik, seine beiden halbwüchsigen und quasi von Woche zu Woche flegelhafter werdenden Kinder, hatten beide übertrieben laute Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als er sich nach tagelangen Skrupeln endlich getraut hatte, seinen Entschluss am Abendbrottisch zu verkünden. Sie hatten sich imaginären Schweiß von der Stirn gewischt und Luft zugefächelt. Und auch Constanze schien, obwohl sie zunächst eine sorgenvolle Miene aufgesetzt und sich erkundigt hatte, ob mit seinem Job etwas nicht stimmte, alles in allem nicht unzufrieden damit zu sein, künftig keine gemeinsamen Reisen mehr in südliche Strandgefilde mit kulturellem Hinterland unternehmen zu müssen.
    Statt sich also auf Korsika, Sardinien, auf Madeira oder Malta jeden zweiten Tag durch Klöster, Festungen und Museen zu quälen, wodurch man sich die Berechtigung erkaufte, jeden ersten der Tage faul und bräsig wie alle anderen Urlauber auch am Strand herumzulungern und sich schon zum Mittagessen das erste Glas Wein zu bestellen, ging van Harm nun allsommerlich ins gut klimatisierte Büro, wo es der Ferien wegen nicht sonderlich viel zu tun gab. Er tippte dort ein wenig an Rezensionen herum, surfte ansonsten im Internet und las ein paar jener Bücher quer, die eventuell für eine Besprechung auf den Kulturseiten, für die er verantwortlich war, in Frage kamen.
    Es wärmte ihn ein bisschen, sich in der Januarkälte an die Sommertage zu erinnern, wenn van Harm sich nach Feierabend, den er zwischen halb drei und halb vier nahm, an einen der Bistrotische an der Kanalpromenade setzte. Er klappte dann stets sein Notebook auf, ohne es einzuschalten, bestellte einen Viertelliter Rheingau-Riesling, so stark gekühlt, dass es schon Frevel war, und lehnte sich, die Sonnenbrille vor den geschlossenen Augen, in seinem Korbsessel zurück, um konzentriert die Geräusche jugendlicher Sorglosigkeit in sich aufzusaugen. Die kecken Rufe der Mädchen, die gespielt rabiaten Entgegnungen der Jungen – er nahm an, dass die meisten von ihnen studentische Rucksacktouristen mit Eurorail-Ticket waren – auf Spanisch, Italienisch, Französisch, drei Sprachen, die er leidlich gut verstand, besser jedenfalls, als er sie sprechen konnte. Flirrende Wortgeplänkel in jenen slawischen Sprachen, die seinem Ohr so sehr schmeichelten, dass er eine Gänsehaut bekam, obwohl er sie weder voneinander unterscheiden noch dem jeweiligen Herkunftsland zuordnen konnte. Im harten Klang der skandinavischen Idiome, der in seiner Vorstellung ein Bataillon blonder Walküren aufmarschieren ließ, und immer wieder in jenem simplen, grammatisch entschlackten Pidgin-Englisch, mit dem sich die verschiedensten Nationalitäten untereinander verständigten und das fast jeder auf der Welt verstand, weil es primitiv und praktisch zugleich war. Eine neue Lingua franca, die er sympathisch fand, vor der es ihm aber von Berufs wegen hätte grausen sollen.
    Während van Harm sich also nachmittäglich den eiskalten Wein die Kehle hinunterrinnen ließ, den Juni hindurch, den Juli und auch im gesamten August, ohne dabei je mehr zu schmecken als eine Ahnung von sonnenreifer Traube, und – Gipfel des Banausentums – sich tatsächlich überlegte, wie sich zwei, drei Blättchen scharfer Minze etwa in dem edlen Getränk machten oder ein frisches, in der Mitte geknicktes Lorbeerblatt, hörte er die Bierflaschen der juvenilen Touristen klirren, nahm er das Klacken von Boulekugeln wahr. Er vernahm das Knirschen der Schuhe im Kies, wenn die Spieler nach beendeter Partie losliefen, um ihre Kugeln wieder einzusammeln. Er hörte das Laub der Schatten spendenden Bäume rascheln, wenn eine warme Brise aufkam und durch die Zweige fuhr. Er hörte das klatschende Geräusch, mit dem die leeren Bierflaschen auf die Kanaloberfläche trafen, und für Sekunden – und im Grunde bestand darin der ganze Sinn seiner sommerlichen Bistrobesuche – gelang es ihm, seiner eigenen Haut zu entkommen. Er vergaß dann, wer er war, woher er kam und was er heute noch zu erledigen hatte. Seit drei Sommern suchte die
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