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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Von der Landstraße her führte ein langer, sanfter Hang hinab zum See, dem Bonnafjord. Ein Strand aus scharfen Steinen fiel steil zum Wasser ab. Ein schmaler asphaltierter Weg schlängelte sich wie ein blaues Band zwischen den Feldern hindurch, die Häuser bildeten bunte Reihen, Veranden und Balkons schauten nach Norden aufs Wasser. Am Ortsrand lagen gepflegte Höfe mit grauen und weißen Wohnhäusern und roten Scheunen und Stallungen. Hier befand sich Fagre Vest, der Hof von Waldemar Skagen, wo in einem Pferch das Pferd Evidence graste. Am Ostufer des Sees lag der von Skagens Schwager bewirtschaftete Hof Fagre Øst. Ein Regenbogen erhob sich wie ein buntes Portal zwischen den beiden Höfen, denn soeben zog ein Schauer über den Himmel, während die Sonne die Wolkendecke durchbrach. Ganz oben an der Straße, mit Aussicht über den Bonnafjord, lag ein Supermarkt, der kürzlich von der Kiwi-Kette übernommen worden war, eine kreative Seele im System hatte den Angestellten apfelgrüne Uniformen verordnet. An der Eingangstür hing ein Plakat, auf dem Schulkinder gebeten wurden, ihre Schultaschen draußen stehen zu lassen, da die Dorfjugend stahl wie die Raben, vor allem Tabak und Schokolade. Signe Lund saß an der Kasse, die Waren glitten auf dem Band vorüber, und sie verlor sich in Träumen, wie junge Mädchen das oft machen. Durch das Fenster sah sie den Bonnafjord und Fagre Vest mit den rosagelben, wogenden Kornfeldern. Auf dem Feld, genau unter Svartåsen, lag eine kleine Anhöhe mit schönen Ebereschen, sie erhob sich wie eine Insel aus dem Getreidemeer. Der Hügel mit seinen Bäumen und Sträuchern barg ein Geheimnis, einen kleinen Erdkeller, von dem nur wenige wussten. An den dachte sie jetzt.  
    Unter der grünen Uniform bewahrte Signe Lund eine bittersüße Erinnerung auf.  
    1
     
    Niemand sah, dass er durch den Wald ging, niemand sah, was er trug. Es war ein bescheidenes Gewicht für einen erwachsenen Mann, aber es machte ihm doch gewisse Probleme, sein Gang war unsicher und schwankend. Ab und zu blieb er stehen und rang nach Luft, dabei stieß er Geräusche aus, die einem Wimmern ähnelten. Dann ging er so schnell wie möglich weiter. Wie ein Greis bewegte er sich unter den Bäumen, beschwert von allem, beschwert von Entsetzen und Tränen. Alles tat so weh, dass seine Knie unter ihm nachgeben wollten, immer wieder schaute er sich um, sein Blick jagte in nervösen Bewegungen hin und her. Jetzt beschleunigte er sein Tempo und näherte sich einer Baumgruppe. Er wollte seine Last nicht wie zufällig hingeworfen irgendwo auf den Boden legen, sondern genau hier bei dieser Baumgruppe, sie sollte als eine Art Denkmal dienen. Dieser letzte Rest von Anstand tröstete ihn, er war doch ein Mensch, er hatte Gefühle, viele davon waren gut. Wieder schaute er sich um, keine Menschenseele war zu sehen, und er blieb stehen und nahm alle Geräusche in sich auf, während sein Herz hämmerte. Der Wald war wie ein gewaltiger Organismus, er atmete, er beobachtete den Mann, er verdammte ihn mit einem tiefen, drohenden Rauschen. Dass du so tief sinken konntest, sagte der Wald, nie im Leben wird ein Mensch für dich noch ein warmes, herzliches Lächeln übrig haben, jetzt nicht mehr.
    Er hatte die Baumgruppe erreicht.
    Er ging in die Hocke.
    Legte seine Last auf ein Bett aus weichem Moos. Richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, es war warm. Das sieht überhaupt nicht gut aus, dachte er, in keiner Weise. Die Gefühle in ihm wüteten, eine Mischung aus Angst und Zorn, nichts ging so, wie er wollte, alles, was passiert war, war falsch gewesen. Wie hatte es passieren können? Außer sich vor Grauen schlug er die Hände vors Gesicht, sie rochen wie warmes Eisen. Er hatte Angst im Mund und in der Blutbahn, er hatte Angst in der Lunge. Das Schicksal hatte ihm einen gemeinen Streich gespielt und ihn über die Kante geschoben, jetzt stürzte er Zurückweisung und Verurteilung entgegen. Kopf ab, würden die Leute sagen, werft ihn in einen Keller, und schmeißt den Schlüssel weg, so einen Mann wollen wir nicht auf der Straße herumlaufen sehen. Er schwankte ein wenig, seine Knie fühlten sich an wie Watte. Ich muss gehen, durchfuhr es ihn, ich muss weg, ich muss zurück zum Auto, ich muss zurück zum Haus und die Tür abschließen, ich muss die Vorhänge vorziehen. In einer Ecke stehen und auf Geräusche horchen, ob jemand kommt. Aber ich gebe keine Antwort, dachte er dann, ich schließe mich ein, sonst schaffe ich
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