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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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es nicht. Er hob drohend die Faust zum Himmel, zu Gott, der ihm so starke Lüste gegeben hatte, die er nicht stillen konnte, wie er wollte.
    Der Wagen stand ein Stück weiter vorn an einer Schranke. Mit schnellen Schritten entfernte er sich ohne zurückzublicken, lief so rasch er konnte durch den Wald. Bald sah er die Schranke und das Auto. Und etwas anderes, etwas, das sich bewegte, etwas Rotes und Weißes im Grünen. Er fuhr zurück. Ein Mann und eine Frau kamen auf ihn zu. Er wollte schon zwischen die Tannen stürzen, besann sich aber in letzter Sekunde und ging mit gesenktem Blick weiter, er legte das letzte Stück so schnell er konnte zurück. Jetzt wütete abermals der Sturm in ihm. Das ist fatal, dachte er, das wird mein Ende sein, diese beiden, die hier herumlaufen, die werden sich an mich erinnern und es aller Welt erzählen. Wir haben ihn gesehen, wir können uns gut erinnern, werden sie sagen, ein Mann in einem blauen Anorak. Und damit wäre die Jagd eröffnet. Erst bei seinem Auto schaute er sich rasch um und begegnete für den Bruchteil einer Sekunde dem Blick der Frau. Er staunte darüber, dass sie lächelte, breit und freundlich. Als er das Lächeln nicht erwiderte, sie nur verzweifelt anstarrte, wurde sie ernst. Das Paar ging an der Schranke vorbei und verschwand im Wald, doch die Frau drehte sich ein letztes Mal um und sah ihm nach.
    2
     
    Sie waren ein Paar, schon seit vielen Jahren, sie hielten einander nicht an den Händen. Die Frau trug eine himbeerrote Jacke, der Mann eine weiße Windjacke, er ging immer einen Schritt vor ihr her, groß, sicher und durchtrainiert. Die Frau musterte ihn von der Seite und dachte sich ihren Teil. Er war der Typ, der alles in Besitz nahm, jetzt gehörte der Wald ihm, und er griff zu. Die Vegetation gab unter seinen Füßen nach, trockene Zweige knackten, und die Frau mühte sich ab, um Schritt zu halten. Sie bewegten sich nicht im gleichen Takt. Sie dachten Gedanken, die sie weder vor sich selbst anerkennen noch miteinander teilen wollten. Aber sie gingen zusammen spazieren, das war zur Gewohnheit geworden, und Gewohnheiten hielten sie fest und machten die Welt vorhersagbar.
    Es war ein unerwartet warmer Septembertag, der Mann öffnete die Jacke, ein Windstoß blähte sie wie ein kleines Segel. Er suchte in seiner Tasche nach Zigaretten.
    »Reinhardt«, sagte die Frau. »Es ist so trocken.«
    Ihre Stimme hatte keine Autorität, es war eher eine zaghafte Bitte. Er verzog gereizt den Mund, er war keiner, der sich zurechtweisen ließ. Er klemmte die Filterzigarette zwischen die Lippen und gab sich Feuer. Seine Iris war wasserblau mit goldenen Sprenkeln, und er hatte einen scharfen Nasenrücken, der im Profil gut aussah.
    Die Frau zog es vor, zu schweigen, sie kannte ihn ja. Sie konzentrierte sich auf den Waldboden mit seinen Grasbüscheln und Senken, ab und zu zog sich eine Wurzel über den Weg. Sie schaute immer wieder zu ihrem Mann hinüber, er war viel größer als sie, breiter und stärker, immer ging er voran. Seit Jahren hielt sie ihre eigene Klugheit nun schon zurück, weil er immer so heftig wurde. Jetzt machte sie sich Sorgen wegen der Trockenheit und der brennenden Zigarette.
    Das Licht, das einmal zwischen uns gebrannt hat, ist erloschen, dachte sie traurig, nichts glänzt noch, wir hätten ein Kind haben sollen. Ein Kind hätte uns einander näher gebracht, es hätte uns miteinander verbunden und uns zu guten Menschen gemacht. So stellte sie sich das vor. Aber die Jahre zogen vorüber, und es kam kein Kind, der Mann wollte nicht, und sie wagte nicht, zu kämpfen. Wenn sie das Thema erwähnte, ärgerte er sich und hob das Kinn, während sie den Blick senkte und verstummte. Haben wir nicht auch so genug?, fragte er dann, zwei volle Stellen, Haus und Garten, Schulden bis über beide Ohren. Wie finden die Leute die Zeit, klagte er, wie können die Leute sich das leisten? Sie gab keine Antwort, aber sie sah, dass andere Zeit hatten. Sie sah auch, dass diese anderen erschöpft waren, hin und her gerissen zwischen Kindern und Karriere und eigenen Bedürfnissen. Aber sobald das Kind auf ihrem Schoß saß, strahlten sie, und sie sehnte sich von ganzem Herzen nach diesem Strahlen. Diesem ganz eigenen Glanz, den sie in den Augen ihrer Freundinnen sah.
    Der Mann rauchte die Zigarette zu Ende, der Tabak glühte rot. Plötzlich schnippte er den Filter weg, der in der Luft einen funkensprühenden Bogen beschrieb. Die Frau beobachtete ihn, wie er da qualmend im Heidekraut
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