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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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war ihre übliche Unterwürfigkeit, vergessen war die Angst, ihn zu reizen, jetzt war das Maß voll und lief über. Sie weinte und wischte sich die Tränen ab, sie rannte den ganzen Weg zur Schranke, aber sie kam nicht sehr schnell voran mit ihren kurzen Beinen.
    »Du bist doch verrückt!«, rief sie.
    Reinhardt kämpfte sich hinter ihr den Weg entlang, sie konnte leise Verwünschungen hören. Sie kamen gleichzeitig beim Auto an, Kristine stützte sich auf die Motorhaube und schluchzte auf. Was sie gefunden hatten, was er getan hatte, war zuviel für sie. Reinhardt setzte sich ins Auto, zog eine Zigarette hervor und zündete sie an, er verzog den Mund. Kristine glaubte trotzdem, einen Hauch von Verlegenheit erkennen zu können, weil sie seine Sensationslust bemerkt hatte, zu der er nicht stehen wollte. Dreimal zog er an der Zigarette und stieß weiße Rauchwolken aus.
    »Das ist ganz automatisch passiert«, sagte er. »Oder, ich weiß nicht. Es ist eben passiert.«
    »Aber was willst du damit?«
    Sie richtete sich auf und sah ihn an, ihre grünen Augen funkelten. »Was willst du mit den Bildern?«
    »Nichts«, sagte er mürrisch und rauchte trotzig weiter.
    »Denk an die Eltern«, sagte sie anklagend. »Wenn die wüssten, dass du diese Fotos gemacht hast, du musst sie löschen, das war nicht richtig.«
    »Die wissen doch nichts davon«, sagte er und wurde langsam sauer. »Und natürlich werde ich sie löschen, ich bin ja nicht blöd, Kristine, komm mir bloß nicht so, in meinem Leben bestimme ich, verdammt noch mal, versuch ja nicht, mich rumzukommandieren.«
    Nach diesem Ausbruch zog er wieder an der Zigarette. Kristine versuchte, sich zu beruhigen, es machte ihr Angst, wenn er laut wurde. Sie lehnte noch immer an der Motorhaube, aufgewühlt und unglücklich. Sie hielten Ausschau nach den Autos, die bald kommen mussten. Dann fiel Kristine etwas ein, sie sah zu Reinhardt ins Auto.
    »Der, der uns begegnet ist«, sagte sie, »der, der uns bei der Schranke begegnet ist. Der im blauen Anorak. Was der wohl hier oben zu suchen hatte?«
    Reinhardt stieg aus dem Auto und blieb breitbeinig stehen.
    »Der kann es doch gewesen sein«, sagte sie, »er hat fast nicht gewagt, mir in die Augen zu schauen. Das müssen wir sicher melden? Sie werden uns fragen. Ob wir etwas gesehen haben. Leute oder Autos.«
    Reinhardt räusperte sich. Er wurde hektisch, er knallte mit der Wagentür und lief hin und her, wie immer, wenn er sich aufregte.
    »Das Auto?«, fragte er. »Hast du das Auto gesehen?«
    »Ja«, sagte sie. »Ich habe es deutlich gesehen.«
    »Es war weiß«, erklärte er.
    »Es war ein älteres Modell«, sagte sie, »aber es war gut in Schuss und hatte keine Kratzer im Lack.«
    »Jetzt müssen wir uns zusammenreißen«, sagte Reinhardt. »Sie werden Einzelheiten hören wollen.«
    Kristine überlegte. Sie hatte den Mann deutlich gesehen, sie hatte ihm in die Augen geblickt, der Umriss seines Gesichts hatte sich ihrer Erinnerung eingeprägt. Sie hatte flüchtig gelächelt, aus purer, automatischer Höflichkeit, ein Lächeln, das er nicht erwidert hatte.
    Er hatte sie voller Entsetzen angestarrt, er hatte sich absolut verdächtig verhalten, wie auf frischer Tat ertappt. Ich mochte ihn nicht, dachte sie, die eine Sekunde, in der ich ihm in die Augen geschaut habe, hat gereicht, um mir ein Gefühl zu geben, und dieses Gefühl war nicht gut.
    »Alter?«, fragte Reinhardt. »Was glaubst du, Kristine? Komm schon, wir müssen uns vorbereiten.«
    Sie überlegte. »Irgendwo zwischen vierzig und fünfzig«, meinte sie.
    Er rümpfte unzufrieden die Nase. »Wir müssen präziser sein«, sagte er. »Nein, verdammt, fünfzig keinesfalls.«
    Sie sagte nichts dazu. Auch sie ging jetzt auf dem Weg hin und her, sie drehte Runden um das Auto. Die Sonne ließ den silberfarbenen Rover glitzern. Reinhardt sorgte immer dafür, dass er gewaschen und poliert war.
    »Ich hoffe, sie kommen bald«, sagte sie.
    »Die werden mit einer ganzen Kompanie anrücken, Kristine, das kannst du mir glauben.« Sie wandte sich ab und schwieg. Sie schob den Daumen in den Mund und knabberte am Nagel, eine schlechte Gewohnheit, von der sie sich einfach nicht befreien konnte. Nie war die Zeit langsamer verstrichen, nie hatte Warten sie so zermürbt. Sie nahm die Ruhe des Waldes nicht mehr wahr, das Rauschen der ausladenden Kronen, das Rascheln des Laubes. Sie sah Reinhardt an. Er lehnte mit verschränkten Armen am Auto.
    »Wo bleiben die denn, verdammt noch mal«, rief er,
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