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Wenn Tote schwarze Füße tragen

Wenn Tote schwarze Füße tragen

Titel: Wenn Tote schwarze Füße tragen
Autoren: Léo Malet
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hin, daß Agnès in der vorangegangenen Nacht nicht nach Hause gekommen
war. Auch Mittwochabend keine Agnès. Donnerstagmorgen immer noch keine Agnès,
dafür aber ein Brief im Kasten. Die Direktorin der Schule benachrichtigte
Dacosta, daß seine Tochter am Mittwoch nicht zum Unterricht erschienen sei. Den
ganzen Tag über lief er bedrückt herum. Schließlich rief er mich an und
erzählte mir alles. ,Mein Leben ist wirklich verflucht’, jammerte er. Ich habe
versucht, ihn wieder aufzurichten. Seine Tochter werde bestimmt bald etwas von
sich hören lassen usw. Kurz gesagt, wir saßen da wie zwei Idioten und wußten
nicht, was wir tun sollten, außer zu warten. Immerhin habe ich hier und da ein
paar Nachforschungen angestellt, zum Beispiel bei dieser Christine, der
Friseuse... Wir haben also gewartet. Nichts. Gestern, Montag, kam etwas
Seltsames mit der Post, aber davon später. Agnès jedoch blieb verschwunden, und
ihr Vater ließ sich immer mehr hängen. Heute schließlich haben Laura Lambert
und ich... Laura war wieder mal unterwegs gewesen, und als sie zurückkam,
erzählten wir ihr, was vorgefallen war... Also, Laura und ich haben
beschlossen, etwas zu unternehmen. Wir haben an Sie gedacht und Sie angerufen.“
    „Wenn ich recht verstehe, haben Sie
die Flics bisher nicht informiert, oder?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    Nach kurzem Zögern antwortet er:
    „Dacosta wollte das nicht.“
    „Ja, ist denn nun der Hund des
Nachbarn entlaufen oder seine Tochter?“
    Dorville zuckt die Achseln.
    „Er mag die französischen Flics nicht.
Hat kein Vertrauen zu ihnen. Er meint, daß sie die pieds-noirs hassen.
Sie würden keinen Finger rühren, um seine Tochter wiederzufinden, und sich mit
seiner Vermißtenanzeige den Hintern abwischen.“
    Die Dauphine biegt von der
Platanenallee in einen holprigen Feldweg ein. Das Scheinwerferlicht fällt auf
ein Schild. „Sägewerk Dacosta“, entziffere ich. Hinter einem verfallenen
Schuppen und Stapeln von Holz leuchtet uns ein Licht entgegen. Dorville hupt
zaghaft. Als Antwort darauf wird eine Tür geöffnet. Im Türrahmen zeichnet sich
scherenschnittartig die untersetzte Gestalt eines Mannes ab.
    Dorville hält vor einem niedrigen
Gittertor und stellt den Motor ab.
    „Da ist noch etwas“, raunt er mir
vertraulich zu. „Er sieht die Flics am liebsten nur von weitem. Unter seinem
Decknamen als Chef des Kommandos ,Omega’ wurde er vom Sondergericht der
Staatssicherheit in Abwesenheit zum Tode verurteilt.“

Der Verrat von Algier
     
     
     
    Ich steige aus und setze meinen Fuß
auf einen Kiesweg. Um uns herum herrscht friedliche Stille. Die tausend
nächtlichen Geräusche — das Zirpen der Grillen oder der klagende Schrei einer
Eule — verstärken diesen Eindruck nur noch. In der Luft hängt Thymiangeruch,
den der Wind aus der Strauchheide zu uns herüberweht. Derselbe Wind bewegt die
Blätter der Eiche, der das Haus seinen Namen verdankt.
    Dorville stößt das Törchen auf, und
wir gehen über einen Weg, der von Schwertlilien gesäumt wird. Der untersetzte
Mann kommt uns entgegen. Unter seinen schweren Schritten knirscht der Kies.
    „Das ist Nestor Burma, Justinien“,
sagt Dorville so ungezwungen wie möglich. „Du siehst, er verliert keine Zeit.“
    „Sehr erfreut“, murmelt Dacosta nicht
besonders begeistert.
    Er streckt mir seine Hand entgegen.
Ich drücke sie. Sie hat nichts Besonderes an sich. Eine Hand, wie es unzählige
gibt. Dacosta dreht sich um, und wir gehen ins Haus. Dort trifft mich das
grelle Licht direkt zwischen die Augen.
    „Setzen Sie sich“, sagt unser
Gastgeber. „Möchten Sie etwas trinken? Ich habe Kaffee gekocht, aber es ist
auch Absinth im Haus.“
    Ich entscheide mich für den Absinth,
der sich als eine ziemlich ekelhafte Hausmischung entpuppt, so daß ich keine
Lust auf ein zweites Glas verspüre. Wir sitzen uns im Dreieck gegenüber, jeder
mit einem Getränk in der Hand.
    Im allgemeinen habe ich nichts gegen
Leute, die zum Tode verurteilt sind. Im Gegenteil, wenn ich das mal so sagen
darf. Da ich aufgrund meiner Weltanschauung nie auf der Seite des Stärkeren
stehe, habe ich eher ein Herz für sie. Aber keine Regel ohne Ausnahme!
    In Unterhemd und Cordhose sitzt der
stämmige Kerl vor mir. Er ist eher klein, aber sehr breit, und sein Gesicht mit
dem krankhaft matten Teint vereint die Züge von Joseph Ortiz und Lino Ventura.
Nur daß letzterer, der bekannte Schauspieler, mir sympathisch ist. Im Gegensatz
zu Justinien Dacosta, dem
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