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Wenn Tote schwarze Füße tragen

Wenn Tote schwarze Füße tragen

Titel: Wenn Tote schwarze Füße tragen
Autoren: Léo Malet
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Pharmavertreterin und
besucht die Ärzte in der Umgebung. Immer auf Achse!“
    Die ganze Zeit über klammert sich
Bruyèras an seine Theke wie an eine Reling und begafft uns neugierig. Einmal so
richtig in Schwung, hat er sich wohl inzwischen noch zwei oder drei weitere
Gläschen genehmigt. Betrunken oder nicht, auf alle Fälle hält er mich für einen
seltsamen Gast.
    Dorville und ich verlassen das Hotel.
Er hat seinen Wagen, eine cremefarbene Dauphine, hinter dem Theater geparkt.
Wir steigen ein, und ab geht’s!
    „Ich habe Dacosta unseren Besuch
angekündigt“, sagt Dorville, nachdem er die ovale Grünfläche der Place de la
Comédie umkurvt hat und wir die Esplanade entlangfahren. „Er erwartet uns. Sein
Haus liegt etwas außerhalb, an der Straße nach Montferrier... Er wird Ihnen
auch nicht mehr erzählen können als ich, aber Sie müssen mit ihm sprechen...
Übrigens, was Ihr Honorar betrifft, das bezahle ich, ja? Nicht nötig also, die
Frage in seiner Anwesenheit zu erörtern.“
    „Ist er pleite?“
    „Ja. Sein kleines Sägewerk hat nie
kostendeckend gearbeitet. Er ist praktisch bankrott. Der Holzhändler, mit dem
er bisher zusammengearbeitet hat, läßt ihn im Stich. Seit letzten Samstag
schneidet er die wenigen Bretter, die er noch in Arbeit hat, selbst zu. Er
mußte seine Arbeiter entlassen.“
    „Ich dachte, die pieds-noirs hätten Geschäftssinn und ihnen würde alles gelingen.“
    „Das sind Menschen wie andere auch.
Wenn sie ein seelisches Tief haben, vernachlässigen sie ihre Geschäfte, und die
leiden natürlich darunter.“
    „Was für ein seelisches Tief?“
    „Das werd ich Ihnen später erklären,
wenn Sie mit Justinien gesprochen haben. Ich meine mit Dacosta... Aber regeln
wir erst einmal die Honorarfrage. Auf dem Rückweg fahren wir dann bei mir zu
Hause vorbei, und ich gebe Ihnen das Nötige für Ihre ersten Auslagen... Ach,
richtig, Sie sind ja ohne Ihren Wagen hier. Brauchen Sie einen?“
    „Einen Wagen kann man immer brauchen.“
    „Ich würde Ihnen diesen hier
leihen...“
    Er schlug auf das Lenkrad.
    „Aber ich brauche ihn selbst.“
    „Ich werd mir einen leihen.“
    „Ah, ja. Sehr gut.“
    Durchs Seitenfenster betrachte ich die
Bilder der schlafenden Stadt, die an mir vorüberziehen. Ich erkenne die hohen
Mauern des ehemaligen Frauengefängnisses. Mir fallen die Namen einiger seiner
berühmten Insassinnen ein. Vor dem Städtischen Krankenhaus kommt uns ein
Ambulanzwagen entgegen. Er ist das einzige Lebenszeichen... oder Todeszeichen!
Ruhet in Frieden, meine lieben Landsleute! Nestor Burma ist zurück, den Kopf
voll fröhlicher Gedanken...
    Wir überqueren die Brücke des Flusses,
der immer ausgetrocknet ist — außer wenn er bei Hochwasser über die Ufer tritt
— und der aller — oder fast aller — Welt unter dem leicht anrüchigen Namen Merdanson bekannt ist. Wir fahren durch einen Vorort mit engen, blinden und stummen
Gassen, die mir irgendwie bekannt Vorkommen.
    Dorville erinnert mich daran, daß ich
nicht ausschließlich als sentimentaler Tourist hierhergekommen bin.
    „Meinen Sie nicht“, sagt er, „daß ich
Ihnen noch ein paar weitere Informationen geben sollte, bevor wir zu Justinien
gehen?“
    Ich pflichte ihm bei. Doch, weitere Informationen
wären wirklich kein Luxus. Ich weiß lediglich, daß es um Dacostas Tochter geht,
daß sie Agnès heißt, achtzehn Jahre alt ist und noch alle Zähne hat. Und daß
sie verschwunden ist. Ach ja, seit wann übrigens?
    „Seit letzten Dienstag“, berichtet Dorville.
„Das ist jetzt eine Woche her.“
    Er macht eine Pause, da er von mir
irgendeine Bemerkung erwartet. Ich tue ihm den Gefallen nicht. Er fährt fort:
    „Agnès ist Halbwaise. Ihre Mutter ist
1959 bei einem Attentat der Nationalen Befreiungsfront FLN in Algier ums Leben
gekommen. Agnès war damals elf. Dacosta hatte sie bis dahin wie seinen Augapfel
gehütet, doch genau in jenem ungünstigen Augenblick sah er sich gezwungen, die
Zügel ein wenig zu lockern. Man kann nicht alles auf einmal machen. Andere Aufgaben
nahmen ihn in Anspruch. Er war politisch aktiv, müssen Sie wissen, und zwar
sehr aktiv. Der Kampf, das Leben im Untergrund, kurz, all das war einer
normalen Erziehung des jungen Mädchens nicht förderlich. Hier in Montpellier
dann war es nicht anders. Die Sorgen um den Neubeginn, den Aufbau seines
Unternehmens, das nicht besonders gut lief, und dazu das seelische Tief, auf
das ich eben schon angespielt habe, nichts davon trug dazu bei, die
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