Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Tote schwarze Füße tragen

Wenn Tote schwarze Füße tragen

Titel: Wenn Tote schwarze Füße tragen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
Bett.
    „Das wär’s dann, M’sieur“, sagt der
Page. „Gute Nacht, M’sieur!“
    Allein im Zimmer, blicke ich auf meine
Armbanduhr. In meinem Leben bin ich schon später ins Bett gekommen. Ich bin
noch nicht müde. Vielleicht gilt das auch für andere. Und hat mir Dorville
nicht gesagt, daß wir schon viel zuviel Zeit verloren hätten? Man muß wissen,
was man will. Außerdem möchte ich es ihm ersparen, sich morgen früh um 7 Uhr 30
am Bahnhof vergeblich die Beine in den Bauch zu stehen. Wenn ich mich jetzt
nämlich ins Bett lege, werde ich um diese unchristliche Zeit noch selig
schnarchen.
    Ich setze mich also aufs Bett und
nehme mein Adreßbuch zur Hand. Auf der Seite „Verschiedene“ habe ich die
Telefonnummern der beiden Einwohner dieser Stadt notiert, die mich heute
nachmittag in meinem Pariser Büro angerufen haben: L. L. (= Laura Lambert),
72-55-55, und J.D. (= Jean Dorville), 72-97-18. Ich greife zum Telefon und bin
kurz darauf mit der 72-97-18 verbunden.
    „Hallo!“ meldet sich eine Stimme, die
nicht zu jemandem gehört, den man soeben aus dem Schlaf gerissen hat. Eher ist
es die überraschte Stimme von jemandem, der sich fragt, wer ihn wohl um diese
Zeit anruft.
    „Hallo, Dorville“, sage ich. „Hier
Nestor Burma, seinem Zeitplan etwas voraus.“
    „Oh!“
    Es folgt ein ausdrucksstarker
algerienfranzösischer Fluch, den ich leider hier nicht wiedergeben kann, darauf
die Feststellung:
    „Das heißt, Sie sind bereits hier in
Montpellier?“
    „Genau das. Im Littoral-Palace, Zimmer 83.“
    „So was! Wir haben Sie erst morgen
früh erwartet, mit dem ersten Zug aus Paris.“
    „Stimmt, so hatten wir’s ausgemacht.
Aber ich hab mich plötzlich entschieden, das Flugzeug zu nehmen. Von Orly nach
Nîmes mit dem Flugzeug und dann mit dem Zug nach Montpellier, Ankunft um
Mitternacht. Ich bin kein bißchen müde. Und Sie machen ebenfalls einen aus
geschlafenen Eindruck. Heute nachmittag haben Sie der verlorenen Zeit
hinterhergeweint... Kurz und gut, ich dachte, es wäre nicht verkehrt, wenn wir
jetzt gleich über den Fall reden würden.“
    „Einverstanden. Im Littoral, sagten Sie?“
    „Ja. Das ist in der...“
    „Ich weiß. Hab auch schon mal für ein
paar Tage dort gewohnt. Ich komme. Vorher ruf ich noch Dacosta an, und wir
können zusammen zu ihm marschieren. Wir werden ihn nicht stören. Er schläft
praktisch überhaupt nicht mehr. Bis gleich.“
    Eine Viertelstunde später stehen wir
uns in der Hotelhalle gegenüber. Dorville ist ein dunkler Typ, was seinen Teint
und seine Haarfarbe angeht. Normalerweise hat er einen offenen
Gesichtsausdruck. Heute allerdings drückt sein Gesicht riesengroßen Ärger aus.
    Ich habe mitten im Algerienkrieg seine
Bekanntschaft gemacht. Er wurde mir von einer meiner ehemaligen Klientinnen, Bereich
Scheidungen, vorgestellt: Laura Lambert, eine Algerierin mit roten Haaren und
leicht aggressivem Auftreten, das ihren verführerischen Reizen keinerlei
Abbruch tat. Damals schlief Dorville wohl mit der Dame. Er betraute mich damit,
die wirklichen Täter eines Raubüberfalls in Paris zu entlarven. Wohlmeinende
Menschen hatten den Überfall anderen angehängt. Diese anderen, Freunde von
Dorville und Laura Lambert, waren zwar keine reinen Unschuldslämmer, hatten
aber mit dem Überfall nichts zu tun. Nachdem ich den Auftrag zur allgemeinen
Zufriedenheit erledigt hatte, verlor ich Dorville und Lambert aus den Augen.
Vom Winde verweht, sagte ich mir und fand mich damit ab, daß ich sie nie mehr
wiedersehen würde.
    Heute nachmittag dann haben sie mich
in meinem Pariser Büro angerufen und mir von einer gewissen Agnès Dacosta
erzählt. Auf diese Weise habe ich erfahren, daß die beiden noch leben und sich
darüber hinaus ein neues Leben in meiner Geburtsstadt aufgebaut haben, der
Anlaufstelle vieler Algerienfranzosen, pieds-noirs, die aus Algerien
flüchten mußten. Ein Glück für die beiden. Wenn sie sich irgendwo anders
niedergelassen hätten, dann wäre ich ihrem Ruf wahrscheinlich nicht gefolgt.
    Ich gebe Dorville die Hand.
    „Freut mich, Sie gesund und munter
wiederzusehen“, sage ich. „Wie geht es Madame Lambert?“
    „Ausgezeichnet...“
    Er sagt das mit dem gezwungenen
Lächeln eines Mannes, den man wie einen alten Lappen nach Gebrauch weggeworfen
hat.
    „Übrigens, ich habe sie nicht von
Ihrer Ankunft benachrichtigt, um sie nicht zu wecken. Sie geht morgen sehr früh
auf Tournee.“
    „Auf Tournee? Ist sie jetzt
Schauspielerin?“
    „Nein, sie ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher