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Wenn Tote schwarze Füße tragen

Wenn Tote schwarze Füße tragen

Titel: Wenn Tote schwarze Füße tragen
Autoren: Léo Malet
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Celleneuve
in sein Haus gebracht. Was er mit der Leiche gemacht hat, weiß ich nicht. Ich
war lange ohnmächtig, glaube ich. Bin erst wieder richtig zu mir gekommen, als
ich im Wohnwagen eines Zigeuners lag. Er hat gesagt, er habe mich befreit.
Heute geht’s mir schon viel besser. Ich konnte in die Stadt zurückfahren. Armer
Zigeuner! Hab ihm auch ein bißchen Geld geklaut, für die Fahrt in die Stadt.
Von dem Rest habe ich mir Papier und Bleistift gekauft, um Ihnen diese
Nachricht zu hinterlassen. Ich hätte mich gerne mit Ihnen unterhalten. Ich wage
es nicht, ganz alleine zu Papa zu gehen. Ich werde Monsieur Dorville um Hilfe
bitten. Er macht mir ein wenig Angst, und ich werde ihm nicht sagen, daß ich
bei Ihnen vorbeigegangen bin. Ich glaube nämlich, daß er Sie nicht mehr gerne
hat. Sagen Sie ihm bitte später nichts von diesem Brief. Er macht mir Angst,
aber ich glaube trotzdem, daß er ein netter Kerl ist. Er wird mir helfen, Papa
alles zu erklären. Bestimmt freut er sich auch, daß Papas Unschuld bewiesen
ist.
    Ich habe eine Art Flaschenpost mit
Castellets Namen irgendwo unterwegs fallenlassen, es mußte schnell gehen. Sie
ist wohl verlorengegangen...
    Viele
liebe Grüße
    Agnès
     
    Ich lege den Brief auf den Tisch. Alle
Anwesenden treten näher und berühren das Blatt Papier, wie um sich von seiner
Existenz zu überzeugen. Keiner sagt ein Wort. Ich sehe unseren Gefangenen an.
Sein Gesicht ist verzerrt, blutleer.
    „Sie hat Sie für einen netten Kerl
gehalten“, sage ich zu ihm. Dorville stößt einen Seufzer aus, der sich
gleichzeitig wie ein Knurren und wie ein Klagen anhört. Dann steht er auf.
    „Gut“, sagt er. „Sie haben gewonnen.
Ich werde mich nicht über Einzelheiten mit Ihnen streiten. Machen wir Schluß!“
    „Monsieur“, meldet sich der Blinde zu
Wort, „Ihre letzten Worte lassen darauf schließen, daß Sie annehmen, wir
wollten Sie erschießen. Seien Sie gewiß, daß ich niemandem hier erlaube, etwas
zu tun, das ihn vor Gericht bringen könnte. Seien Sie ebenfalls gewiß, daß es
uns genauso widerstrebt, Sie an die französische Justiz auszuliefern. Aber
vielleicht haben Sie sich ja noch einen Rest Ihrer verlorenen Ehre bewahrt...“
    „Ja“, erwidert der Ehrlose mit einem
nervösen Lachen. „Einen Rest. Einen sehr kleinen Rest. Doch ich glaube, das
wird genügen...“
    Wie auf ein geheimes Zeichen hin
erheben wir uns alle. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Ich nehme den Brief
wieder an mich. Adrien holt seinen Revolver raus und entnimmt dem Magazin alle
Kugeln... bis auf eine. Dann wischt er sorgfältig seine Fingerabdrücke ab und
legt die Waffe auf den Tisch. Währenddessen befreit sein Landsmann, der
Schulmeister, den Schurken von seinen Fesseln.
    Wir gehen in die lauwarme Nacht hinaus
und lassen Dorville alleine mit dem Revolver zurück. Das Metall schimmert
schwach im flackernden Kerzenlicht.
    Die pieds-noirs scharen sich
neben dem Gartentor um ihren Hauptmann. Ich zünde mir eine Pfeife an und setze
mich unter die Pinien. Wie oft habe ich als kleiner Junge hier geträumt? Wovon?
    Eine Fledermaus — die „Flugratte“, wie
wir sie früher nannten, jetzt fällt es mir wieder ein — flattert aus den Ruinen
hoch und breitet ihre unheimlichen Trauerflügel aus, die sich vor dem
Sternenhimmel abzeichnen.
    Ein Schuß schreckt sie auf und
verscheucht sie.
     
     
    ENDE

Anmerkungen des
Autors:
     
    5. Kapitel
    Félix Faure... Madame
Stenheil : Félix Faure wurde am
1 6. Februar 1899 bei einem Tête-à-tête mit Madame Stenheil vom Tod
überrascht.
     
    6. Kapitel
    Barbouze wird in diesem Roman nicht wie im „normalen“ Argot
gebraucht (Polizeispitzel oder Geheimagent der Spionageabwehr), sondern in der
Bedeutung, die die O. A. S. dem Wort gegeben hat: Mitglied der politischen
Geheimpolizei.



1  Tatsächlich hatte Zavatter das Vergnügen und die
ehre, den Mörder zu fangen. Castellet kam nämlich wirklich in die Rue Daranaud
zurück. Weniger vielleicht, um sich mir Geld versorgen, als um seine
Lebensgefährtin umzubringen. Zavatter wurde schnell mit ihm fertig. Gemeinsam
schleppten wir ihn dann in jämmerlichem Zustand zu den Flics, denen ich — wie
vorauszusehen war — alles bis ins kleinste erzählen mußte...
    Der Fall brachte
Kommissar Vaillaud den (von Delmas, dem Journalisten, verliehenen) Titel eines
„Maigret des kalifornischen Languedoc“ ein. Das hielt ihn davon ab, mich
allzusehr anzuschnauzen, sogar als ich ihm mitteilte, daß noch Mortauts Leiche
in der
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