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Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry

Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry

Titel: Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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Robert wollte ganz sicher gehen, daß ihm kein Fehler unterlief. Er glaubte, es sei zunächst nötig, die frisch erworbenen Kenntnisse zu untermauern und zu erweitern. Da ich in der Ogden Road wohnte, erschien ich ihm als der ideale Partner. Ich bekam rasch heraus, daß Marlowe-Cumberland oft verreiste, und zwar meistens nach Brickford, wo sein Grundstück lag. Dort traf er stets in Männerkleidung ein. Er zog sich entweder im Zug oder in der Bahnhofstoilette um. Da er regelmäßig in Brickford gesehen wurde und auch regelmäßig in London war, kam niemand auf den Gedanken, daß etwas nicht stimmen könnte. Es ist wahrscheinlich, daß sich Miß Ipswich über die Reiselust ihrer Herrin wunderte, aber das interessierte ihn wenig. In Brickford wußte man von der Existenz eines Mr. Marlowe, und in der Ogden Road akzeptierte man das Vorhandensein einer Mrs. Cumberland. Wenn Coleman nicht die Tagebuchblätter gefunden hätte, wüßte bis heute noch kein Mensch, daß Marlowe eine Doppelrolle spielte.“
    „Was brachte ihn eigentlich dazu?“
    „Wir fanden die Wahrheit nach und nach heraus... in der Hauptsache durch Geständnisse von Marlowe selbst. Als wir ihm eines Tages in Brickford die Pistole auf die Brust setzten und ihm erklärten, daß wir sein Spiel durchschaut hätten und daß ihm nun nichts weiter übrigbliebe, als unser Schweigen zu erkaufen, zahlte er ohne den geringsten Widerstand. Das bewies uns, daß Mrs. Cumberlands Vermögen enorm groß sein mußte, und wir steigerten von Mal zu Mal unsere Geldforderungen. Sie wurden stets erfüllt.“
    „Wie schaffte er es, die Bankbeamten zu täuschen und die Unterschrift der toten Schwester zu fälschen?“
    „Das sei sehr leicht gewesen, sagte er uns. Die Schriften waren einander ähnlich, und er brauchte nur einen Tag lang zu üben, um die Signatur mit verblüffender Echtheit hinzukriegen.“
    „Hat er die Schwester getötet?“
    „Marlowe bestritt das. Seinen Angaben zufolge starb sie eines natürlichen Todes. Herzschlag infolge Altersschwäche. Möglich ist das schon. Sie war immerhin achtzig. Das Malheur passierte ihr in einer Pension, wo sie sich zum erstenmal nach langer Zeit mit dem Bruder getroffen hatte. Das Wiedersehen war von Marlowe erzwungen worden. Er befand sich finanziell in der Patsche und hoffte, von der Schwester Hilfe zu bekommen. Er lockte sie unter dem Vorwand, wichtige Details aus dem Vorleben von Mr. Cumberland erfahren zu haben, nach Brighton: Als er Farbe bekennen mußte, erlitt die Schwester dann vor Zorn und Empörung einen Schwächeanfall. Sie wollte am nächsten Tag abreisen, aber in der gleichen Nacht, kurz nach dem Besuch eines Arztes, starb sie.
    In der Pension war es so gewesen, daß alle Gäste die unerhörte Ähnlichkeit zwischen Marlowe und seiner Schwester gerühmt hatten. Dieser Rummel brachte Marlowe auf einen Gedanken. Warum sollte er nicht versuchen, seine finanzielle Notlage dadurch zu beheben, daß er einfach das Leben der Schwester annahm? Er erprobte den phantastischen Plan zum erstenmal bei der Pensionswirtin, indem er die Kleider der Toten anzog und als Mrs. Cumberland die Rechnung bezahlte. Dabei vermochte er festzustellen, daß es enorm leicht war, die Menschen zu täuschen.“
    „Aber wie schaffte er es, Mrs. Cumberlands Personal zu überlisten?“
    „Ich muß vorausschicken, daß Marlowe etwa ein Jahr vor dem Zusammentreffen in Brighton die Schwester in der Ogden Road besucht hatte. Auch damals war es seine Absicht gewesen, die Schwester um etwas Geld zu erleichtern. Er verbarg sich einige Tage in einem der Fremdenzimmer, die praktisch nie benutzt wurden, und überraschte dann die Schwester nächtlicherweise mit seinen Bitten und Forderungen. Die bedienstete Maid merkte davon überhaupt nichts. Marlowe aber lernte damals nicht nur das Haus kennen, sondern auch vieles von den Eigenheiten und Lebensgewohnheiten der Schwester. Sie versuchte ihn rauszuwerfen, aber er ging erst vierzehn Tage später, nachdem ihn Mrs. Cumberland mit ein paar Pfunden abgespeist hatte.“
    „Eins verstehe ich nicht: Sie war doch seine Schwester. Warum suchte er sie nicht wie ein normaler Besucher in der Ogden Road auf?“
    „Das hätte Mrs. Cumberland in Weißglut versetzt; sie betrachtete ihn als einen Familienschandfleck, und sie legte Wert darauf, keinerlei offizielle Bindungen zu ihm zu unterhalten.“
    „Wie kam er denn in das Haus rein?“
    „Wahrscheinlich durch ein offenes Fenster. Vielleicht besaß er auch einen
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