Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry

Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry

Titel: Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
Vom Netzwerk:
stützte das Kinn in die rechte Hand und rührte mit der Linken nachdenklich in
    seinem Tee herum. Er blickte durch die große Glasscheibe des altmodisch eingerichteten Teesalons nach draußen und betrachtete müßig die Badegäste, die in hellen Scharen auf der Promenade vorüberpromenierten. Hin und wieder fing er die teils neugierigen, teils zu einem Flirt einladenden Blicke der jungen Mädchen auf, aber auch diese durchaus erfreulichen Aspekte seines Besuches in Brighton vermochten seine Laune nicht aufzubessern. Er hatte schon rund zwanzig Pensionen und Hotels abgeklappert, die nach seinem Dafürhalten Mrs. Cumberland oder Mr. Marlowe als Aufenthalt gedient haben konnten, aber bis zur Stunde war es ihm1 nicht gelungen, mit Hilfe des Fotos zu einem Erfolg zu kommen.
    Ein wenig wehmütig dachte er an Inspektor Flavius, dem die leichtere und interessantere Arbeit zugefallen war, in London Mr. Coleman und Miß Turner zu interviewen. Seufzend legte er den Löffel auf die Untertasse und genehmigte sich einen Schluck Tee, den er mit viel Sahne und Zucker genoß.
    Vor sich auf der Tischplatte hatte er das Bild der spurlos verschwundenen Miß Cumberland liegen, und er grübelte darüber nach, ob das Foto die Frau des verstorbenen Diamantenhändlers zeigte oder ihren Bruder, den ermordeten Mr. Marlowe. Da die Aufnahme vor zwei Jahren gemacht worden war, also zu dem Zeitpunkt, da die angebliche Mrs. Cumberland von einer plötzlichen Reisewut gepackt wurde, ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wen das Bild nun eigentlich darstellte. Patrick verspürte plötzlich einen leichten Hunger. Er winkte das junge, appetitlich aussehende Serviermädchen herbei, das einen sehr koketten Gang hatte und lächelnd nach seinen Wünschen fragte.
    „Bringen Sie mir zwei Stück Kuchen, bitte.“
    „Es wird am besten sein, sie suchen sich etwas am Büfett aus“, empfahl sie ihm.
    „Es ist mir ziemlich egal, was es ist“, winkte er ab. „Irgend etwas zum Essen.“
    Sie blickte ihn halb amüsiert und halb erstaunt an und sah dann auf das Bild, das vor ihm lag.
    „Einem Moment glaubte ich, Sie litten an Liebeskummer“, meinte sie kichernd. „Ihr Gesicht machte jedenfalls diesen Eindruck. Aber jetzt sehe ich, daß ich mich getäuscht habe. Das Foto zeigt ja nur eine alte Dame.“
    Er schob ihr das Bild hin. „Kennen Sie dieses Gesicht?“
    Das Mädchen nahm das Foto in die Hand. Patrick sah, daß sie rotlackierte, aber ziemlich kurze Fingernägel hatte. Anscheinend brachen sie ihr bei der Servierarbeit häufig ab.
    „Ich glaube, ich habe sie schon mal gesehen“, meinte das Mädchen. „Aber das liegt bestimmt schon zwei Jahre zurück.“
    Patrick wurde munter. „Wo war das?“
    „Bei Tante Mildred. Sie hat eine Pension in der Rutherford Street. Das Haus ist nur fünf Minuten von hier entfernt.“
    „Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht täuschen? War es wirklich die gleiche Frau wie auf dem Bild?“
    Sie bemerkte seinen Eifer und fragte verwundert: „Ist das denn so wichtig?“
    „Ja... sehr.“
    Sie warf einen weiteren Blick auf das Foto und erklärte dann: „Wissen Sie, es gibt hier in Brighton Dutzende alter Tanten, die ganz ähnlich aussehen, und es ist natürlich möglich, daß ich die Gesichter verwechsle. Meine Tante wird Ihnen sagen können, ob die Dame, die auf dem Foto abgebildet ist, vor zwei Jahren im Haus ,Bluebell‘ gewohnt hat.“
    „Vielen Dank“, erwiderte Patrick und warf eine Münze auf den Tisch. Er stand auf und schob das Foto in seine Brieftasche.
    „Wollen Sie denn schon gehen? Ich dachte, Sie wünschten etwas Kuchen?“
    „Jetzt nicht, später vielleicht“, sagte er und lächelte sie flüchtig an. Dann verließ er das Lokal.
    Wenig später stand er einer dicken, gutmütig aussehenden Frau gegenüber, die ein dünnes Netz über das silbergraue Haar gezogen hatte und eine lange russische Zigarette rauchte. Mildred Ball, die Pensionswirtin des Hauses ,Bluebeir, blickte ihm freundlich in die Augen, aber Patrick vermochte sich des Gefühls nicht zu erwehren, daß sich hinter der Fassade von Menschenfreundlichkeit und Güte eine kalte, raffinierte Geschäftsfrau verbarg.
    „Sie sind also von der Polizei?“ fragte sie, nachdem er ihr seinen Ausweis vorgelegt hatte. „Sie sehen nicht so aus, mein lieber Freund. Ich bilde mir viel auf meine Menschenkenntnis ein. Sie hätte ich wahrscheinlich für einen Architekten gehalten..., jawohl, für einen Mann, der sich künstlerisch und konstruktiv
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher