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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst
Autoren: Anna Mitgutsch
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Obdachlosen, der sich eingenistet hat, aber jedesmal wiederholt eine nasale Tonbandstimme: The number you have reached has been disconnected, no further information is available. Und selbst dann wage ich nicht, an Sonntagen das Haus zu verlassen, als könnte er doch noch anrufen, und ich stelle mir vor, wie glücklich ich wäre, seine Stimme zu hören, und wie achtsam wir dieses Mal mit unserer Liebe umgehen würden. Manchmal läutet das Telefon und wenn ich abhebe, höre ich nur mein eigenes Echo, als pralle meine Stimme von einem fernen Planeten ab und käme mit diesem hohlen Widerhall zurück. Auch wenn es vernünftige Erklärungen dafür gibt, frage ich ihn dann: Warst du das? Was willst du mir sagen? Nach zwei Monaten ist das Telefon in unserem leeren Haus in Dedham abgestellt, ich lasse es lange läuten, so lange, bis die Hoffnung in Vernunft umschlägt. Im Dezember sagt eine junge Frauenstimme freundlich: Hallo? Danach erst höre ich auf, das Haus mit meiner Vorstellung besetzt zu halten.
    Die Möbel kommen an, beschädigt und zerbrochen, das Porzellan, die Gläser in Scherben, an denen ich mir die Hände zerschneide. Manche Scherben lassen sich leicht, wie von selbst zusammenfügen, andere Bruchstücke sind verschwunden und es bleiben Lücken. Die Lautenspielerin aus dem achtzehnten Jahrhundert hat ihren Schleier verloren und einen feinen Haarriß um den Hals, dort wo ich den Kopf wieder angeklebt habe. Die Dinge, die Jerome über so viele Jahre gesammelt hat, werden zwar nie wieder wertvolle Stücke sein, aber ich tröste mich damit, daß sie mehr denn je unserem Leben gleichen. Die Lücken bleiben offen, und das, was verlorenging, bleibt
sichtbar, vielleicht kann ich es vor den Blicken anderer verbergen, die geklebten Risse zur Wand kehren. Der Wert liegt nicht mehr im Sichtbaren, nur noch in den Erinnerungen. Nur der verschmähte Windhund ist heil geblieben.
    Ich drucke unsere e-mail-Briefe aus, eintausendsechshundertdreiundzwanzig Seiten, sie spiegeln fast ein Jahrzehnt von Liebe und Enttäuschung, von Mißverständnissen und Lüge, Haß und Wut und den unaufhörlichen Versuchen, wieder anzuknüpfen und aneinander festzuhalten. Dann ist der Folder Jerome leer bis auf die letzte Botschaft zwei Tage vor seinem Tod: Ich hoffe, du wurdest freundlich empfangen. Mir und den Katzen fehlst du sehr, komm bald zurück . Danach lösche ich den Folder, weil es keine weiteren mails geben wird. Das Nichtsein kann man nicht erzählen, und während man versucht, sich dem Tod zu nähern, stehlen die Worte und Begriffe sich davon.
    Und dann kommt eine Zeit der Abrechnung, und alle Kränkungen von fünfunddreißig Jahren steigen aus der Erinnerung auf, ungeheuerlich und ungesühnt, als sei seither keine Zeit vergangen und als hätte ich nichts verziehen. Ich sehe Jeromes verächtlichen Blick, mit dem er sich abwendet und genau das tut, was mich verletzt, ich höre den gereizten Klang in seiner Stimme, wenn er sagt, geh mir aus den Augen, ich erinnere mich an den Morgen vor einer Reise, als er sagte, du kannst anziehen, was du willst, keiner wird von dir Notiz nehmen, ich höre den Satz, ich weiß, daß es dir schlecht geht, aber ich will nicht mit dir untergehen, ich erinnere mich an meine Einsamkeit in seiner unzugänglichen Gegenwart, und an den Abend, als ich ein Telefongespräch belauschte, in dem er überlegte, wie er mir das Sorgerecht für unser Kind entziehen könnte, ich weiß, daß ich oft und über Jahre in seinen Träumen keinen Platz hatte. Längst Vergessenes hakt sich in meinem Gedächtnis
fest, Gründe, die mir vor Augen führen, daß ein gemeinsames Leben auch jetzt, in der vom Tod vernichteten Zukunft, nicht möglich gewesen wäre und nie hätte möglich werden können. Das Wissen, daß es niemanden mehr gibt, den ich beschuldigen könnte, nützt nichts, wenn die einsame Wut über Unverziehenes mich überfällt. Das Schlimmste, das man einem Menschen wünschen kann, ist der Tod. Es bleibt nichts zu wünschen übrig. So kalt und ohne Trost entfernt er sich.
    Aber diese Aufwallungen von Bitterkeit sind kurze Explosionen, die schnell, ohne Rückstand in sich zusammenfallen. Wäre ich tot und er der Hinterbliebene, hätte ich mir gewünscht, daß er mir die vielen Kränkungen und Racheakte verzeihen würde, ja ich hoffe sogar jetzt noch, daß er es tut, wenn irgendwo ein Rest von ihm existiert, auf welche Weise auch immer, denn jedesmal kehrt nach einer Weile die Liebe zurück, dem blinden Verzeihen zum
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