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Der Tempel der Ewigkeit

Der Tempel der Ewigkeit

Titel: Der Tempel der Ewigkeit
Autoren: Christian Jacq
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EINS
     
     
    RAMSES WAR ALLEIN. Er wartete auf ein Zeichen des Verborgenen.
    Allein in der Wüste, in der unendlichen Weite eines ausgeglühten, verdorrten Landstrichs, allein seinem noch unbekannten Schicksal ausgesetzt.
    Mit dreiundzwanzig Jahren war Prinz Ramses eine athletische Erscheinung, sieben Fuß hoch gewachsen, mit prächtigem rotblondem Haar, ovalem Gesicht und straffen, vor Kraft strotzenden Muskeln; eine breite und hohe Stirn, die lebhaften Augen unter auffallend geschwungenen, dichten Brauen sowie die lange, leicht gebogene Nase, die schön geformten Ohren und die vollen Lippen über dem markanten Kinn verliehen seinem Antlitz etwas Gebieterisches und zugleich Verführerisches.
    Trotz seiner Jugend hatte er es schon weit gebracht. Er war königlicher Schreiber, in die Geheimnisse von Abydos eingeweiht und zum Mitregenten des Königreichs Ägypten ernannt worden, womit Sethos ihn, den jüngeren Sohn, zum Thronerben und Nachfolger erkoren hatte.
    Doch nun war dieser mächtige Pharao, dieser unersetzliche Herrscher, der seinem Land Glück, Wohlstand und Frieden bewahrt hatte, nach fünfzehn Jahren außergewöhnlicher Regentschaft gestorben, nach fünfzehn zu kurzen Jahren, die vorübergeflogen waren wie ein Ibis in der Abenddämmerung eines Sommertages.
    Ohne daß Ramses sich dessen bewußt geworden wäre, hatte Sethos als unnahbarer, gefürchteter und strenger Vater ihn nach und nach zum Umgang mit der Macht erzogen, indem er ihm zahlreiche Prüfungen auferlegte, deren erste die Begegnung mit dem wilden Stier, dem Inbegriff der Stärke, gewesen war. Der Jüngling hatte den Mut gehabt, es mit ihm aufzunehmen, ihn aber nicht bezwingen können; wäre Sethos nicht eingeschritten, hätte das Ungeheuer Ramses mit seinen Hörnern zerrissen. Damals hatte sich seinem Herzen die erhabenste Pflicht eines Pharaos eingeprägt: den Schwachen vor dem Starken zu schützen.
    Der König, und nur er, kannte das Geheimnis der wahren Macht. Mit magischer, aus der Erfahrung geschöpfter Kraft hatte er es nach und nach Ramses preisgegeben, ihm jedoch dabei seine Absicht nicht enthüllt. Im Laufe der Jahre war der Sohn dem Vater nähergekommen, ihre Gedanken hatten sich im gleichen Glauben, in der gleichen Begeisterung vereint. Ernst und in sich gekehrt, war Sethos zwar sehr wortkarg gewesen, Ramses hatte er indes das einzigartige Vorrecht gewährt, lange Gespräche mit ihm zu führen, bei denen er sich nach Kräften darum bemühte, ihm die wahren Aufgaben des Königs von Ober- und Unterägypten begreiflich zu machen.
    Es waren erhellende Stunden gewesen, Augenblicke der Gnade, die nun für immer im Schweigen des Todes versunken waren.
    Ramses’ Herz hatte sich wie ein Blütenkelch geöffnet, um die Worte des Pharaos aufzunehmen, sie wie den kostbarsten der Schätze zu bewahren und in seinem Denken und Handeln weiterleben zu lassen. Doch Sethos war zu seinen Brüdern, den Göttern, enteilt, und Ramses blieb allein zurück, des Vaters beraubt.
    Er fühlte sich wirklich allem gelassen, unfähig, die Last zu tragen, die auf seinen Schultern lag. Über Ägypten herrschen… Mit dreizehn Jahren hatte er davon geträumt wie ein Kind von einem unerreichbaren Spielzeug; dann hatte er diesem törichten Wunsch entsagt, überzeugt davon, daß der Thron Chenar, seinem älteren Bruder, verheißen sei.
    Pharao Sethos und die große königliche Gemahlin Tuja hatten indes anders entschieden. Sie hatten das Verhalten ihrer beiden Söhne beobachtet und dann Ramses für das höchste Amt ausersehen. Warum hatten sie nicht einen anderen dazu ernannt, einen Stärkeren und Tüchtigeren, einen Mann wie Sethos! Im Zweikampf hätte Ramses bereitwillig jedwedem Feind getrotzt, aber würde es ihm gelingen, das Staatsschiff durch die Ungewissen Wasser der Zukunft zu steuern? In Nubien hatte er im Gefecht seine Tapferkeit bewiesen. Mit seiner unerschöpflichen Tatkraft würde er, wenn es denn nötig wäre, sogar die Pfade des Krieges beschreiten, um sein Land zu verteidigen, doch wie sollte er einem Heer von Beamten, Würdenträgern und Priestern gebieten, deren Verschlagenheit ihm fremd war?
    Der Begründer der Dynastie, der erste Ramses, war ein bejahrter Wesir gewesen, als die Weisen ihm eine Macht übertrugen, die er nicht begehrt hatte. Auch sein Nachfolger, Sethos, war bei seiner Krönung bereits ein reifer und erfahrener Mann gewesen. Doch Ramses zählte erst dreiundzwanzig Jahre und hatte sich bisher damit begnügen können, im schützenden
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