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Der Tempel der Ewigkeit

Der Tempel der Ewigkeit

Titel: Der Tempel der Ewigkeit
Autoren: Christian Jacq
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man ihr keine Vorwürfe. Sie webte, hörte Musik, musizierte selbst, badete in dem See, der nur dem Vergnügen diente, und ergötzte sich an den unerschöpflichen Reizen der Palastgärten. Das Klirren der Waffen war verklungen, dem Gesang der Vögel gewichen.
    Mehrmals am Tag erhob Helena ihre weißen Arme und betete zu den Göttern, daß dieser Traum nie zu Ende gehen möge. Sie wünschte sich nur, die Vergangenheit, Griechenland und Menelaos zu vergessen.
    Während sie über einen sandigen, zu beiden Seiten von Perseas gesäumten Pfad schritt, entdeckte sie den Kadaver eines Kranichs. Helena ging näher heran und stellte fest, daß der Bauch des schönen Vogels aufgeschlitzt war. Da kniete sie nieder und betrachtete aufmerksam seine Eingeweide. Sowohl unter den Griechen als auch unter den Trojanern wußte jeder um ihre seherischen Fähigkeiten.
    Eine ganze Weile verharrte die Gemahlin des Menelaos in tiefer Niedergeschlagenheit.
    Was sie aus den Innereien des beklagenswerten Kranichs herausgelesen hatte, versetzte sie in Angst.
     

VIER
     
     
    THEBEN, DIE GROSSE Stadt im Süden Ägyptens, war die Stätte des Amun, jenes Gottes, der den Arm der Befreier bewaffnet hatte, als sie vor vielen Jahrhunderten die grausamen und barbarischen Hyksos vertrieben, die aus dem Osten eingedrungenen Eroberer. Seit das Land seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, huldigten die Pharaonen Amun, und von Generation zu Generation vergrößerten und verschönerten sie ohne Unterlaß seinen Tempel. So war Karnak das größte und reichste Heiligtum geworden, eine Art Staat im Staate, in dem der Oberpriester sich mehr als Herrscher mit ausgedehnten Machtbefugnissen gebärdete denn als Mann des Gebets.
    Bei ihm hatte Chenar gleich nach seiner Ankunft in Theben um Audienz nachgesucht. Die beiden Männer unterhielten sich in einer aus Holz errichteten, von Glyzinien und Geißblatt überwucherten Laube, nicht weit vom heiligen See entfernt, von dem ein wenig Kühlung ausging.
    «Bist du etwa ohne Gefolge gekommen?» erkundigte sich der Oberpriester verwundert.
    «Von meinem Besuch hier wissen nur sehr wenige.» «Aha… Dann möchtest du also, daß ich darüber Stillschweigen bewahre.»
    «Hältst du deine Einwände gegen Ramses noch immer aufrecht?» «Mehr denn je. Er ist jung, hitzköpfig und jähzornig. Er würde auf verheerende Weise herrschen. Sethos hat einen Fehler begangen, als er sich für ihn entschied.»
    «Traust du mir zu, daß ich regieren kann?»
    «Welchen Rang würdest du dem Tempel des Amun einräumen, falls du den Thron besteigen solltest?»
    «Den höchsten selbstverständlich.»
    «Sethos hat den Priestern anderer Götter den Vorzug gegeben, wie etwa denen von Heliopolis und Memphis. Mein einziger Ehrgeiz besteht darin, nicht erleben zu müssen, daß Karnak auf den zweiten Platz verwiesen wird.»
    «Das liegt wohl in der Absicht von Ramses, nicht in meiner.»
    «Was schlägst du vor, Chenar?»
    «Zu handeln, und zwar schnell.»
    «Mit anderen Worten, noch ehe Sethos’ Mumie beigesetzt wird.»
    «Das ist in der Tat die letzte Gelegenheit, die wir haben.»
    Chenar wußte nicht, daß der Oberpriester des Amun schwer krank war. Nach der Meinung seines Arztes hatte er nur noch wenige Monate oder gar nur noch wenige Wochen vor sich. Eine rasche Lösung erschien dem Würdenträger daher wie ein Wink der Götter. So würde er noch erleben können, daß Ramses die höchste Macht entrissen und Karnak gerettet wurde.
    «Ich dulde jedoch keinerlei Gewaltanwendung», erklärte der Oberpriester. «Amun hat uns Frieden beschert, und der darf nicht gebrochen werden.»
    «Sei ohne Sorge! Selbst wenn Ramses unfähig ist, über Ägypten zu herrschen, so ist er doch mein Bruder und ich empfinde große Zuneigung für ihn. Nicht einen Augenblick habe ich daran gedacht, ihm auch nur das geringste Leid anzutun.»
    «Was hast du mit ihm vor?»
    «Er ist ein junger Mann voller Tatkraft, ihn locken Abenteuer und Ferne. Von einer für ihn zu schweren Bürde befreit, wird er eine weite Reise antreten und mehrere Fremdländer besuchen. Sobald er zurückkehrt, werden seine Erfahrungen für uns sehr wertvoll sein.»
    «Mir liegt auch daran, daß Königin Tuja deine wichtigste Ratgeberin bleibt.»
    «Das versteht sich von selbst.»
    «Bleib Amun treu, Chenar, dann wird dir das Schicksal hold sein.» Der erstgeborene Sohn des Sethos verneigte sich ehrerbietig. Die Leichtgläubigkeit dieses alten Priesters kam ihm wunderbar zustatten.
    Dolente, die
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