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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Autoren: Tom Holt
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Street-32a-Ebene.
    In der Londoner Beaumont Street 32a läßt man 21
    sich erst gar nicht dazu herab, sich irgendeinen Namen oder gar ein Firmenzeichen zuzulegen. Werbung kommt auch nicht in Frage; die Firma tut sogar alles, ihre Existenz vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
    Denn trotz der brutal hohen Honorare, die dort verlangt werden, würde die Beaumont Street 32a bei allgemeiner Bekanntheit binnen kurzem mit derart vielen Anfragen überhäuft werden, daß sie nicht mehr länger funktionieren könnte.
    Die Auswahlkriterien für einen potentiellen Kunden der Beaumont Street 32a kann man getrost als verboten streng bezeichnen. Reichtum jenseits aller Träume von Habgier reicht gewiß nicht aus. Genausowenig Diskretion. Geburt, Stand, politischer Rang und ähnliche solche eher vergänglichen Faktoren haben keinerlei Bedeutung. Worauf man in der Beaumont Street 32a bei einem potentiellen Kunden achtet: daß er mit der Zielsetzung der Firma in absolu-tem Einklang steht. Zukünftige Mandanten müssen es geradezu lieben, Geld anzuhäufen, und es mehr als alles andere auf der Welt hassen, sich wieder davon zu trennen.
    Sobald man in die Vorauswahl gekommen ist, wird man heimlich überprüft und dann von einem Mitarbeiter direkt angesprochen. Wenn man nach einem rigorosen Verhör das ausreichende Format bewiesen hat, wird man in die Nummer 32a eingeladen, um sich dort anzuhören, was einem die Firma zu bieten hat.
    Ein zukünftiger Mandant, der nicht beim Namen 22
    genannt werden muß, saß gerade im Empfangsraum.
    Genauer gesagt saß er auf einer umgedrehten Apfel-sinenkiste und trank aus einem Becher, der bereits am Rand zersplittert war, billigen Pulverkaffee. Die Firma hat sich nie dazu herabgelassen, sich eine protzige Fassade zu geben, nur um ihre potentiellen Freier damit beeindrucken zu können.
    Die drei Mitarbeiter saßen um ihn herum auf dem Fußboden. Alle waren eigentümlich gekleidet und von ebenso merkwürdigem Aussehen, aber der an-onyme Mandant war bestimmt nicht so reich geworden, weil er andere nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilt hatte.
    »Die Idee der Steuerparadiese ist Ihnen doch sicherlich geläufig, nicht wahr?« erkundigte sich der Seniorpartner – er sprach Englisch so fließend wie alle anderen Weltsprachen, allerdings mit einem merkwürdigen Akzent, der noch am ehesten italienisch war.
    Der Mandant nickte.
    »Liberia, Isle of Man und dergleichen sind Ihnen also bekannt, oder?« fuhr der Seniorpartner fort.
    »Selbstverständlich.«
    »Unsere Investitions- und Finanzberatungsstrate-gie basiert in erster Linie auf dem Konzept des Steuerparadieses, jedoch mit einem einzigartigen zusätzlichen Faktor, den nur wir bieten können. Und deshalb«, fügte er lächelnd hinzu, »ist unser Honorar auch so ungewöhnlich hoch.«
    Der Mandant grinste hämisch. »Fahren Sie fort.«
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    »Traditionell baut die Steuerparadiesstrategie darauf, daß Geldsummen von einem steuerlich bevor-zugten Land in das andere transferiert werden. Wir nennen das die umständliche Methode, die nach unserer Meinung etliche Mangel aufweist. Wir bevorzugen die direkte Methode. Nach unserer Erfahrung, und die ist alles andere als unerheblich, bietet diese Methode keinerlei Nachteile.« Der Seniorpartner lä-
    chelte verschmitzt. »Mit Ausnahme unseres Honorars natürlich, das man in der Tat als unverschämt hoch bezeichnen kann.«
    »Wenn Sie sagen, Sie bevorzugen die direkte …«
    »Das ist wirklich ganz einfach«, unterbrach ihn der Seniorpartner. »Wenn die traditionelle Methode darin besteht, Geld von einem Land zum anderen zu bewegen, mit anderen Worten, Geld durch den Raum zu transferieren, dann transferieren wir Geld durch die Zeit. Oje! Sie haben offenbar Kaffee verschüttet.«
    »Durch die Zeit … ?«
    »Richtig, durch die Zeit«, bestätigte der Seniorpartner.
    »Überlegen Sie doch mal. Zum Beispiel gab es im dritten Jahrhundert vor Christus in Kasachstan keine Steuern oder dergleichen. Andererseits gab es auch keine Banken und außer Grunzochsen nichts, worin man hätte investieren können. Nach unserem Dafürhalten werfen Grunzochsen kurzfristig eine sehr niedrige Rendite ab. Die freie Welt des Zwanzigsten Jahrhunderts hingegen bietet zwar einerseits unend-24
    lich viele Investitionsmöglichkeiten, andererseits aber auch irrsinnig hohe Steuern. Das nächstliegende ist es deshalb, eine Zeit und einen Ort zu finden, die zwischen dem Kapitalertrag und der Steuerinterven-tion einen goldenen Mittelweg darstellen.
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