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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Autoren: Tom Holt
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etwas zu trinken anbieten?«
    »Etwas zu trinken?« stutzte Guy.
    »Sicher. Ich weiß zwar nicht, wie’s dir geht, aber ich fühle mich noch ganz schön mitgenommen. Ich wohne hier gleich um die Ecke.«
    Guy dachte darüber nach. Er dachte sogar angestrengt darüber nach, und das in einem bemerkenswert kurzen Zeitraum. Letztendlich war es wohl der vom Flugzeug herüberdringende Geruch verbrannten Fleischs, der Guy zu einem Entschluß verhalf. »Ja danke. Aber sag mal, ich glaube, ich habe eben deinen Namen nicht richtig verstanden.«
    »John de Nesle«, sagte der komische Typ. »Und du bist … ?«
    »Goodlet. Guy Goodlet.«
    »Aha, und wo liegt Goodlet?«
    »Wie bitte?«
    De Nesle schüttelte den Kopf. »Schon gut, das kannst du mir auch später erzählen. Komm, erst mal müssen wir ein Rathaus oder etwas Ähnliches finden.«
    »Bedien dich, ich habe dir etwas zu essen gebracht«, sagte das Mädchen.
    In der Dunkelheit der Zelle rührte sich der Gefangene. »Ich will nichts«, grummelte er auf seine typisch mürrische Art. »Hau schon ab.«
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    »Jetzt stell dich nicht so an«, rügte ihn das Mädchen.
    »Das hier ist Hühnersuppe, dein Lieblingsessen«, fügte sie sanft hinzu.
    Der Gefangene machte mit seinen in Ketten gelegten Händen eine abfällige Geste. »Zwei Punkte: Erstens ist das nicht mein Lieblingsessen, und zweitens verwendest du immer zuviel Salz.«
    »Das hättest du vorher sagen müssen.«
    »Wenn du zuviel Salz reintust, dann wird durch die Flüssigkeit, die unvermeidlich am Strohhalm vor-beitröpfelt und in die kniffligen Teile der Maske läuft, alles ganz rostig. Wenn ich irgend etwas nichts ausstehen kann, dann ist das Rost.«
    »Ist ja gut, und es tut mir auch wirklich leid«, entschuldigte sich das Mädchen verärgert.
    Der Gefangene schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich muß mich bei dir entschuldigen. Bin heute etwas mies drauf. Wie ist eigentlich das Wetter draußen?«
    »Es regnet.«
    »Wirklich?« Obwohl das Mädchen sein Gesicht nicht sehen konnte, war es sich sicher, daß der Gefangene lächelte. »Regen habe ich immer geliebt«, sagte er.
    »Im Ernst?« erkundigte sich das Mädchen ver-wundert.
    »O ja. Alle anderen in meiner Familie standen total auf Sonne, aber ich habe immer schon Regenwet-ter bevorzugt. Welchen Tag haben wir heute?«
    »Donnerstag.«
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    »Was du nicht sagst!« Der Gefangene seufzte, bis sich das Mädchen sicher war, daß ihm von der Sehnsucht nach alten Zeiten das Herz gebrochen sein muß-
    te. »Nun ja … Hühnersuppe, hast du gesagt? Lecker.«
    Das Mädchen stellte den Teller auf den Boden.
    »Das nächste Mal werde ich bestimmt weniger Salz reintun«, versprach es.
    »Nein, nein, das ist schon gut so«, widersprach der Gefangene. »Und was gibt’s zum Nachtisch? Wasser? Wunderbar, ich liebe Wasser.« Instinktiv faßte er sich an den Gürtel, aber da war nichts. »Du mußt schon entschuldigen, doch anscheinend habe ich kein Geld dabei«, sagte er verlegen, und das mittlerweile zum ungefähr zehntausendstenmal.
    »Das geht schon in Ordnung«, antwortete das Mädchen lächelnd. »Bis bald.«
    Der Gefangene nickte freundlich, und die Tür wurde geschlossen. Leise seufzend setzte er sich auf den Fußboden und stierte auf die Holzschale, den Tonkrug und den Strohhalm. Nach einer ganzen Weile rang er sich dazu durch, etwas von der Hühnersuppe zu essen, die wie gewöhnlich abscheulich schmeckte. Dennoch mußte man ja irgendwie bei Kräften bleiben – wozu, war ihm allerdings nicht ganz klar; man tat es einfach mit derselben Selbstverständlichkeit, wie man stets versuchte, sich gegenüber dem Personal freundlich zu verhalten.
    Eine Ratte kroch ihm am linken Bein hoch und hockte sich bei ihm aufs Knie, ihre scharfe Nase schnupperte in Richtung der Suppe.
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    Der Gefangene sah sie an. »Hallo, mein kleines Rättchen, willst du was abhaben? Bedien dich, aber ich kann dir gleich sagen, daß ich jegliche Verantwortung dafür ablehne.« Kaum hatte er die Schüssel auf den Fußboden gestellt, kroch ihm die Ratte am Bein hinunter und hievte die Schnauze in die restliche Brühe. Nach einigen Schlucken blickte sie beleidigt zu ihm auf, schüttelte den Kopf und schlich sich davon. Kurz darauf war aus einem entlegenen Winkel der Zelle heraus das leise und dennoch unmißverständliche Geräusch einer sich erbrechenden Ratte zu vernehmen.
    »Jetzt sag bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, schimpfte der Gefangene mit ihr, dann trank er genüßlich das
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