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Gegensätze ziehen sich aus

Titel: Gegensätze ziehen sich aus
Autoren: Kerstin Gier
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1. Kapitel
    Anton wollte meine Eltern kennen lernen. Und nicht nur das. Er wollte auch, dass seine Eltern meine Eltern kennen lernten.
    Als ob es mit uns nicht schon kompliziert genug wäre: zwei Haushalte, zwei Ex-Ehepartner, zwei Kinder und ein Teufelsbraten.
    »Ich habe endlich die Antwort auf die Frage gefunden, was Frauen glücklich macht«, sagte meine Freundin Trudi. »Und es ist nicht tantrischer Sex.«
    »Nicht?«, sagte ich zerstreut. Genau genommen waren es sogar vier Kinder, zwei von mir, zwei von Anton, aber seine ältere Tochter lebte bei seiner Exfrau in England.
    Der Teufelsbraten war seine jüngere Tochter, Emily.
    Vorgestern Abend hatte mir mein Sohn Julius beim Gute-Nacht-Sagen die Arme ganz fest um den Hals gelegt und in mein Ohr geflüstert: »Du, Mami, kannst du den Orca-Sarg nicht noch mal umtauschen?«
    Mir war ein kleines bisschen das Herz stehen geblieben. Hatte er wirklich »Sarg« geflüstert?
    »Orca - was?«, fragte ich und strich ihm die hellblonden Locken aus der Stirn.
    »Ich will lieber einen Delphin-Sarg, bitte«, sagte Julius. »Wenn du ihn noch umtauschen kannst.«
    »Aber Krümelchen, warum willst du denn einen Sarg haben?«, fragte ich entgeistert.
    »Weil mein Gehirn schrumpft und ich bald sterben muss«, sagte Julius.
    »Wie kommst du denn bloß auf so eine Idee?«, rief ich aus. Alle Härchen auf meinen Armen hatten sich aufgerichtet. »Emily hat es mir verraten«, sagte Julius.
    Es dauerte ein Weilchen, bis ich begriffen hatte, was passiert war: Emily hatte Julius eingeredet, er leide unter einer unheilbaren Krankheit und wir würden bereits hinter seinem Rücken seine Beerdigung vorbereiten. Drei Tage lang war Julius mit seinem vermeintlich schrumpfenden Gehirn umhergegangen und hatte sich Sorgen über den Tod gemacht. Es war nicht einfach, ihn davon zu überzeugen, dass er ein vollkommen gesunder Vierjähriger war und, so Gott wollte, noch ein langes und erfülltes Leben vor sich hatte.
    »Das war gemein und sehr grausam von dir«, sagte ich zu Emily, als Anton sie am Abend zum Essen mitbrachte. Ich hätte sie gern geschüttelt und gerüttelt, aber das tat ich natürlich nicht. Schließlich war sie erst sechs Jahre alt und ein ausgesprochen zierliches Kind mit schmalen Schultern.
    »Das war doch nur ein Spiel«, sagte sie und sah mir dabei direkt in die Augen. Sie hatte wunderschöne mandelförmige Augen, die sie von ihrer Mama geerbt hatte. Antons Exfrau hatte eine interessante Erbmasse: Zur einen Hälfte thailändische Prinzessin, zur anderen Hälfte schottischer Geldadel. Oder umgekehrt, halb thailändischer Geldadel, halb schottische Prinzessin, das wusste ich nicht mehr so genau.
    »Kein sehr lustiges Spiel«, sagte Anton streng. »Julius hat das sehr ernst genommen.«
    Emily sah mir immer noch in die Augen. Ihre waren so schwarz, dass man nicht erkennen konnte, wo die Pupillen aufhörten und die Iris anfing. Ich bemühte mich, ohne Blinzeln zurückzuschauen,weil es sicher fatal gewesen wäre, Emily merken zu lassen, dass ich mich vor ihr fürchtete.
    »Es tut mir leid«, sagte Emily schließlich. Es klang aufrichtig.
    Anton lächelte mir zu. Für ihn war die Sache damit erledigt.
    Für mich nicht. Denn als Anton nach dem Essen auf die Toilette ging, sagte Emily unvermittelt: »Ich will dich nicht. Ich werde dich wegmachen. Die anderen habe ich auch weggemacht.«
    Möglicherweise war es ja lächerlich, aber ich nahm ihre Drohung ernst. Nach der Trennung von Emilys Mutter hatte Anton, wie meine Freundin Mimi es ausdrückte, »nichts anbrennen lassen«. Und wo waren meine Vorgängerinnen alle hin? Sie waren weg. Weggemacht.
    Ich wollte nicht, dass Emily das auch mit mir machte. Anton war das Beste, was mir in Sachen Mann jemals untergekommen war. Er war freundlich und klug, großzügig und witzig, und Sex mit ihm war einfach phänomenal gut.
    Ich liebte Anton.
    »Was also macht Frauen glücklich?«, fragte Trudi.
    »Zu lieben und geliebt zu werden«, sagte ich inbrünstig. Wie in diesem Song aus »Moulin rouge«: The greatest thing you'll ever leam, is just to love and be loved in return.
    »Ach nein«, sagte Trudi. »Viel einfacher!«
    Ich wusste nicht, ob Anton mich genauso liebte wie ich ihn, aber er schien mich ganz offensichtlich für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre in seinem Leben fest mit eingeplant zu haben. Obwohl wir erst ein paar Wochen zusammen waren, sagte er ständig so Sachen wie: »Für nächsten Sommer werden wir uns ein Wohnmobil ausleihen und
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