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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
Autoren: Anika Beer
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Fenster aus der Nacht hinaus in den Tag.
    Fae hatte nicht zu viel versprochen. Als Nele die Lider hob, blinzelte und sich mit schweren Armen den Schlaf aus den Augen rieb, war sie wirklich nicht allein– auch wenn es sich im ersten Moment kaum so anfühlte, als hätte sich auch nur irgendetwas verändert.
    Sie lag auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer, ohne sich erinnern zu können, wie sie dorthin gekommen war. Sie war doch neben Svea eingeschlafen? Und wo waren Aylin und Charlotte? Die waren doch auch bei ihr gewesen? Aber wenn Nele ehrlich zu sich selbst war, schien ihr das inzwischen so weit weg, dass die ganze Episode in der Schule, einschließlich ihrer Flucht zu Charlotte, ebenso gut auch ein Traum hätte gewesen sein können.
    Als sie sich jedoch aufrichtete und sich blinzelnd umschaute, entdeckte sie im Sessel Jari, der reglos dort lag; in einer Haltung, die so denkbar unbequem aussah, dass Nele sich nicht vorstellen konnte, wie Schlaf in so einer Position überhaupt möglich sein sollte. Aber seine Brust hob und senkte sich schwach, und sein Gesicht zeigte einen so friedlichen Ausdruck, dass Nele fast die Tränen kamen.
    Und in diesem Augenblick hörte sie zum ersten Mal einen Gedanken, der unmöglich ihr eigener sein konnte.
    ›Er ist schon auf dem Weg hierher. Spätestens zum nächsten Sonnenaufgang wird er wieder bei dir sein.‹
    Fae. Ein Kribbeln jagte durch Neles Körper. Und erst jetzt fiel ihr auf, wie unnatürlich klar sie ihre Umgebung wahrnahm. Alle Linien schienen schärfer, die Kontraste tiefer zu sein. Auch ihre Bewegungen fühlten sich anders an als sonst. Viel leichter und geschmeidiger, obwohl sie doch gerade aus einem wirklich tiefen Schlaf aufgewacht war.
    »Fae«, sagte sie und kam sich sofort komisch vor, in einem leeren Raum mit sich selbst zu sprechen. »Was machen wir jetzt?«
    Wieder spürte sie dieses Kribbeln hinter ihrer Stirn, und kurz darauf tauchte die Antwort auf ihre Frage in ihrem Kopf auf.
    ›Geh in die Stadt, zu der Kreuzung, über der das Nachtglas riss. Dort ist der Sog am stärksten, und unsere Kraft auch.‹
    Nele nickte und war schon auf dem Weg zur Tür. Als sie auf die Straße trat, ging ihr erster Blick direkt zum Himmel, und eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken. Das Nachtglas schien ein ganzes Stück tiefer auf die Stadt herabgesunken zu sein. Das Loch, das sie schon von der anderen Seite aus gesehen hatte, war längst nicht mehr das einzige. Überall brachen nun beständig Stücke aus dem Himmel und fielen als funkelnder Scherbenregen auf die Dachfirste und Bäume. Gelbes Nachmittagslicht vermischte sich mit dem silberblauen Leuchten der ungeformten Träume, sodass ganz Erlfeld in einen geisterhaften Schimmer getaucht war. Die Straßen lagen unheimlich still da, nur vereinzelt schlurften Menschen mit leerem Blick über die Gehwege und durch die Gärten. Ziellos. Stumm, ohne einander auch nur zu bemerken.
    Nele sah sich um. Auf einen Bus oder gar ein Taxi brauchte sie diesmal wohl nicht zu hoffen. Wie kam sie denn nur zu Fuß am besten zu dieser Kreuzung? Am klügsten würde es wohl sein, wenn sie erst mal in die grobe Richtung ging, in die die Straßenbahn sonst fuhr.
    Aber als sie sich auf den Weg zur Haltestelle machte, stellte sie erstaunt fest, dass ihre Beine ganz von selbst eine völlig andere Richtung einschlugen.
    Hier entlang, sagte Fae in ihrem Kopf. Wir nehmen die Katzenpfade. Dann sind wir schnell am Ziel.
    Katzenpfade? Noch bevor Nele auch nur darüber nachdenken konnte, was die Göttin damit meinte, setzte sich ihr Körper bereits in Bewegung, und ehe sie es sich versah, hatte sie zu rennen begonnen– schneller, als sie es sich jemals zugetraut hätte. Es war Fae, die ihren Körper steuerte, und Nele begriff nun sehr gut, was Katzenpfade waren. Ihr Weg führte sie durch Gärten und Hinterhöfe, über Mauern, Zäune und Mülltonnen abseits der Straßen. Und obwohl Neles Muskeln schon bald brannten vor Anstrengung, entschied sie, nicht dagegen anzukämpfen und sich einfach vorantragen zu lassen. Beinahe genoss sie sogar den Wind in ihrem Gesicht, und die Geschwindigkeit, mit der sie vorankam. Sie brauchte nichts zu tun, nichts zu denken. Sie übersprang meterhohe Hecken, als wäre es nichts, und wäre Fae mit ihr auf ein Dach geklettert, es hätte sie auch nicht mehr gewundert. Viel schneller als Nele es je für möglich gehalten hätte, waren sie bei ihrer Schule angekommen. Und von dort aus war auch die schicksalhafte Kreuzung nur noch einen
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