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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
Autoren: Anika Beer
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Wie viele ihrer Mitschüler, ihrer Lehrer? Vielleicht sogar… ihre Mutter? Sie konnte es nicht ausschließen, immerhin hatte Nele sie seit dem Morgen nicht gesehen.
    »Was geschieht mit ihnen?«, flüsterte sie und merkte im gleichen Moment, dass sie die Arme weit ausgebreitet hatte, wie um all die Gestalten willkommen zu heißen. Tränen liefen ihr über die Wangen, ohne dass sie wirklich weinte. »Was ist mit den Menschen da unten?«
    Ein Lächeln, warm und mitfühlend, rieselte durch ihren Körper.
    Keine Angst, sagte Fae. Sie werden alle zurückkehren, wohin sie gehören, gereinigt von ihren Dämonen. Alles wird gut, besser noch als vorher. Und jetzt – schließ die Augen und weck sie auf.
    Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, sanken Neles Lider herab und verbargen die wilden Träume vor ihrem Blick. Aber Nele wusste, sie würde sie niemals vergessen. Nicht ihre Stimmen, nicht ihre flehenden Augen. Und nicht das Licht.
    Sie dachte an das Blatt, das aus ihrer Hand verschwunden war. Es war ganz einfach gewesen. Sie hatte nur daran gedacht, dass es hier nicht hingehören konnte, und es war gegangen.
    Nele holte tief Luft.
    Tu es, rief Fae. Jetzt!
    Und Nele gehorchte.
    »Geht nach Hause!«, schrie sie. Grelles Licht blitzte auf, das sie selbst durch die geschlossenen Lider blendete. »Wacht auf und kehrt zurück!«
    Ein Klingen, wie von Weingläsern im Schrank, nur unendlich viel lauter, dröhnte über den Himmel. Nele riss die Augen auf– und sah, wie die Träume in Stücke fielen. Wie sie zerbröselten und wie trockene Asche vom Wind emporgetragen wurden, hin zu dem Loch im Nachtglas, das sich langsam zu schließen begann. Der Stein, auf dem Nele stand, zerfiel unter ihren Füßen, und für einen schrecklichen Moment stürzte sie etliche Meter in die Tiefe. Doch der Strom der ungeformten Träume, der zum Himmel schoss, fing sie auf, sodass sie wie ein schwerer Ball auf der Fontäne eines Springbrunnens langsam zu Boden trudelte und schließlich mit einem leichten Ruck auf dem Rücken landete. Benommen blieb sie liegen und starrte auf den Himmel, der sich über ihr langsam zu heben schien und mit jedem Aufblitzen eines zurückkehrenden Traumes heller und heller wurde.
    Und schließlich, als auch das letzte Sandkorn zurückgekehrt war, wurde die Stadt wieder still. Das Klingen verebbte, das Licht verlosch.
    Zurück blieb nur Fae, ein flüchtiges Kribbeln unter Neles Haut.
    Ich danke dir, hörte Nele sie noch flüstern. Du hast uns alle gerettet. Das werden wir nie vergessen.
    Dann war auch die Göttin fort. Und Nele blieb, zerschlagen und wund, unter einem tiefroten Abendhimmel allein zurück.

Vierzehntes Kapitel
    Das Netz gab ihn nicht frei.
    Seit Stunden, wie ihm schien, hatte Seth gestrampelt, gezerrt und geflucht. Aber es half nichts, und er wusste es. Dies war Faes Netz. Er hatte keine Chance.
    Und als er nun hörte, wie sie sich näherte, wusste er auch, dass es jetzt endgültig vorbei war. Sein Spiel war ausgespielt.
    Es überraschte ihn selbst ein wenig, dass es ihm tatsächlich beinahe gleichgültig war. Inzwischen war er nur noch erschöpft, so erschöpft und enttäuscht, dass kein Raum mehr blieb für Wut oder auch nur verletzte Eitelkeit.
    »Ist dein Stolz nun endlich gebrochen?«, fragte Fae. Sie stand nicht weit von ihm entfernt. Mit dem ausgestreckten Arm hätte sie ihn ohne Mühe berühren können. Seth war froh, dass sie es nicht tat und ihm so eine weitere Demütigung ersparte.
    »Sag es«, knurrte er müde. »Bring es hinter dich.«
    Fae lächelte nicht. Kein Triumph lag in ihren Augen. Vielmehr sah sie unendlich traurig aus. »Du mochtest sie sehr, nicht wahr? So sehr, dass du selbst für deine Begriffe viel zu weit gegangen bist.«
    Seth schwieg. Es widerstrebte ihm, ihr recht zu geben. Und doch war es wohl richtig, was sie sagte.
    »Sie wollte dich noch einmal sehen«, fuhr Fae fort. »Aber ich habe es ihr nicht erlaubt.«
    Ein leises Fauchen entwich Seths Kehle. »Hör schon auf. Bring es einfach zu Ende.«
    Fae hob die Brauen und musterte ihn verwundert. Dann aber nickte sie langsam. »Wie du willst.« Sie trat einen weiteren Schritt näher und stand nun so dicht vor ihm, dass er ihren kühlen erdigen Duft riechen konnte. Den Duft der Alten, der Unsterblichen. So wie sie hatte Seth nie sein mögen. Aber dass seine Zeit so früh zu Ende ging, das hatte er auch nicht gewollt.
    Federleicht legte sich Faes Hand nun doch auf seine Stirn. Und aus der Nähe sah er, dass tatsächlich Tränen in
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