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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
Autoren: Anika Beer
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seinem Magen, heiß und schwarz. Wenn er die Hand auf seine Brust legte, ertastete er sich windende Wulste, die im Takt seines Herzens unter seiner Haut pochten. Ein Mal, tief in sein Fleisch gebrannt, Geschenk und Fluch zugleich. Er war gezeichnet. In seinem Kopf wisperte noch immer Faes lautlose Stimme, die ohne Worte zu ihm sprach. Ihm sagte, dass es nur einen Weg gab, das Mal wieder loszuwerden. Er musste Seth besiegen.
    In der Ferne sah Jari nun ein Leuchten, dort wo die Grenze zwischen Traum und Wachen sein musste. Ein mattes Licht, warm und einladend. Sein Zuhause. Sein Körper, und die Welt, in die er gehörte. Je näher er ihr kam, desto mehr fühlte Jari die Kräfte zurückkehren, die ihm bei seiner Reise durch die Unendlichkeit verloren gegangen waren. Er war ein Mensch, kein Traum, und genau das würde er auch bald wieder sein. Mit allem, was dazugehörte.
    Jari ballte die Faust und spürte, wie die Dunkelheit des Mals prickelnd hineinfloss und bis in seine Fingerspitzen strömte. Seine einzige Waffe, um seinem letzten Gegner entgegenzutreten: sich selbst. Oder zumindest einer Person, die ihm bis aufs Haar glich.
    Jari spürte den Kater schon von Weitem. Er hatte sein Kommen sofort bemerkt, genau wie Fae vorausgesagt hatte. Und als Jari nahe genug herangekommen war, sah er ihn auch. Seth erwartete ihn; auf einem schmalen Grat aus nachtschwarzem Stein, der das Licht von der Dunkelheit trennte. Reglos stand er dort, aufrecht und aufs Äußerste angespannt. Auf der nackten Brust des Katers sah Jari ein Mal, das das genaue Spiegelbild seines eigenen darstellte. Es erhellte Seths Gesicht mit sanftem Glimmen, ein scharfer Kontrast zu seiner grimmig entschlossenen Miene. Das Licht floss bis hinunter in seine bloßen Füße und sogar noch ein Stück in das schwarze Gestein hinein, wie ein Anker, der ihn in dem gestohlenen Körper hielt.
    »So begegnen wir uns also.« Selbst Seths Stimme war scharf, als wolle er sie als eine Waffe benutzen, um den ersten Schlag gegen Jari zu führen, noch ehe der nur einen Schritt auf die Grenze gesetzt hatte.
    Was auch immer Jari bis hierher angetrieben und ihm Schwerelosigkeit verliehen hatte, es war in dem Moment verschwunden, als er den schwarzen Untergrund des Stegs berührte. Kaum zwei Schritte voneinander entfernt standen er und Seth sich nun gegenüber. Zu beiden Seiten stürzten die Wände des Grats steil hinab in eine ungewisse Tiefe. Und Jari wusste, er durfte nicht fallen. Wenn er das zuließ, war alles vorbei.
    »Lass mich durch«, sagte er, so ruhig er konnte. »Geh zurück nach Hause.«
    Seth stieß ein hartes Lachen aus. Es hallte weit in der Leere, die sie umgab. »Du willst nicht im Ernst versuchen, mit mir zu verhandeln, oder? Nimm es nicht persönlich– aber nein. Unmöglich. Selbst wenn ich es wollte, kannst du nicht wirklich glauben, dass ich mich wieder in Faes Reichweite begebe, solange das Nachtglas noch steht. Geh zurück in die Traumwelt. Niemand braucht dich hier.«
    Jari spürte, wie sein Gesicht sich verfinsterte. Wut stieg in ihm auf. Dieses Lachen– aus seinem Mund, mit seiner Stimme! Und dieser selbstgerechte Ausdruck auf seinem Gesicht! »Mag sein. Aber dieses Leben gehört dir nicht. Du hast etwas falsch verstanden, Seth: Du wirst hier nicht gebra…«
    Mit voller Wucht traf ihn Seths Fuß unter dem Kinn. Der Tritt hob Jari von den Beinen, und er hörte seinen Kiefer knacken. Nicht fallen!, war sein einziger Gedanke, als er hart zu Boden stürzte und sich im letzten Moment abfing. Nur nicht in diesen Abgrund fallen! Sein rechter Fuß rutschte ins Leere, schabte an der steilen Wand des Grates entlang. Kleine Gesteinssplitter lösten sich und segelten lautlos in die Tiefe.
    Der Angriff war so schnell gekommen, dass Jari die Bewegung nicht einmal gesehen hatte. Sein Schädel vibrierte noch immer, und seine Sicht verschwamm– da setzte Seth bereits nach. Der nächste Tritt traf Jari vor die Brust und streckte ihn lang zu Boden.
    »Du redest zu viel«, zischte Seth. Sein spitzes Knie presste sich grob zwischen Jaris Rippen und drückte ihm die Luft ab. Seine Augen glühten kalt. »Nur leider wirst du nichts mehr daraus lernen!«
    Er würde ihn in den Abgrund stoßen. Ohnmächtig vor Schmerz und nach Atem ringend, lag Jari unter Seth, das Gesicht nur Millimeter von der schroffen Kante entfernt, und spürte, wie der Sog der Tiefe nach ihm griff. Wenn er sich doch nur bewegen könnte. Wenn er…
    Jaris Gedanken stockten. Natürlich konnte er sich
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