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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Autoren: Malte Pieper
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Moment wird mir diese Frage schon beantwortet: Es ist ein Ball. Und er trifft mich mitten ins Gesicht.
    Orhan, anscheinend der Schütze dieser präzisen Gesichtsflanke, kommt auf mich zugerannt und ruft: «Ey, Bruder! Musst du hingucken, escht! Is Fußball hier!»
    Ich bedanke mich bei Orhan für diese äußerst schlüssige Belehrung und beschließe zum gefühlt 7873 . Mal, bei nächster Gelegenheit besser aufzupassen, weil ich doch weiß, dass Orhans zweiter Name «Chancentod» lautet. Er haut den Ball immer am Ziel vorbei, nur, um dann meistens mich irgendwo schmerzhaft zu treffen. Als Orhan mich jetzt komisch anschaut, merke ich, dass ich Letzeres gerade laut gesagt habe, und versuche mich rauszureden, dass Chancentod im Deutschen ein anderes Wort für Super-duper-klasse-Fußballer ist. Orhan geht nicht weiter darauf ein, weil er zum einen natürlich weiß, was Chancentod bedeutet, und ich ihm zum anderen leidtue, da er in diesem Moment entdeckt, dass ich mich mitten in ein Kaugummi gesetzt habe.
    Thomas, der dazugekommen ist, entschuldigt sich. Es ist sein Kaugummi.
    Ich beschließe, mich auch darüber nicht weiter aufzuregen, und schaue mich nach Fabio um. Wahrscheinlich hat er wieder verpennt, oder seine Mutter ist gerade in diesem Moment dabei, ihm Hunderte italienischer Spezialitäten in eine große Tüte zu packen, die er uns gleich mit müder Geste präsentieren wird. Er findet es peinlich, dass seine Mutter ihm immer Sachen mitgeben will, wir finden es super. Denn Fabios Mutter macht mit Abstand die besten italienischen Snacks, die man sich vorstellen kann, auch wenn Orhan nicht müde wird zu betonen: «Na ja, is halt Italien-Zeug. Türkisch is besser, ich schwör.»
    Tiere malen
    Als hätte ich nicht gerade das Abitur, sondern ein Wahrsagerdiplom bestanden, kommt Fabio wenig später mit einer Tüte in der Hand um die Ecke. Er zieht eine Schachtel daraus hervor, die Thomas ihm gleich aus der Hand reißt und öffnet. Heute hat Fabios Mama Kekse in Tierform gebacken. Mit rosa Zuckerguss, bunten Streuseln und gelben Perlen. Wie schön. Da fühlt man sich gleich zurückversetzt in längst vergangene Zeiten. Zeiten, in denen solche Kekse noch altersgemäß, wir im Kindergarten und Atomkraftwerke sicher waren. Und als Orhan dann noch versucht, mir einzureden, dass es wichtig ist, welchen Tierkeks man nimmt, weil das etwas über die Persönlichkeit aussage, bin ich gedanklich wieder an einem Zeitpunkt angekommen, den ich lieber vergessen hätte: die Schuleignungsprüfung.
    Bevor in Deutschland eine Grundschule besucht werden darf, muss erst die Reife und Eignung des Kindes festgestellt werden. Es reicht nicht, wenn der Sprössling jeden Tag die Hausaufgaben der großen Schwester aus der dritten Klasse löst und von nichts anderem mehr redet, als in die Schule gehen zu wollen. Nein, die Eignung muss ein Arzt erst noch höchstwissenschaftlich bestätigen. Jemand, der Ahnung hat, Kinder einschätzen kann und der ein vom Bildungsministerium persönlich entwickeltes Testverfahren selbst im Schlaf durchführen könnte. Und dieses Testverfahren beginnt mit der gemeinsten und hinterhältigsten aller Fragen, die gerade noch so nicht zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit gezählt werden kann. Es ist die Frage: «Wie heißt du denn?»
    Da stand ich nun als sechsjähriges Kind mit übergroßer Brille, fusseligem Raufaserpullover und einer undefinierbaren, damals angeblich hochmodernen Pilzkopffrisur und musste antworten. Nicht mehr die Mama sagte: «Das ist unser kleiner Malte.» Nein, das musste man jetzt selbst können, denn man war ja schon groß. Aber den eigenen Namen einem so großen fremden Herrn Doktor verraten? Vor allem, wenn einen alle angucken und warten? Der Arzt guckte und wartete, die Arzthelferin guckte und wartete, meine Mutter guckte und wartete, und selbst der kleine Stoffpinguin auf der Behandlungscouch schaute mich an, als wollte er mir sagen: «Los, Kleiner! Jetzt versau es nicht!»
    Ich konzentrierte mich, nahm all meinen Mut zusammen und flüsterte: «Pinguin.»
    Scheiße. Ich hatte mich ablenken lassen. Der Pinguin auf der Couch schlug die Flügel vors Gesicht und murmelte (nur für mich hörbar): «Das mit der Schule kannste vergessen.» Meiner Mutter war das Ganze sichtlich unangenehm, denn sie wurde rot und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Die Arzthelferin fand es lustig, und der Doktor, so erzählte es mir später meine Mutter, wertete meine Antwort mit Blick auf den
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