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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Autoren: Malte Pieper
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schon. An diesem Tag lag es wohl aber nicht an ihm, sondern daran, dass seine gesamte italienische Großfamilie sich vorgenommen hatte, mitzukommen, um mit Fabio «eine bisschen Feier mache».
    Während wir da standen, erzählte Orhan Thomas und mir, dass seine Eltern gestern erst die Schultüte besorgt hätten: «Ey, die kannten das nicht. Voll schlimm, oder? Alter, mein älterer Bruder, der Ahmed, hatte bei seiner Reinschulung auch keine Schultüte.» Wenn ich es mir recht überlege, war Orhans Deutsch (sieht man einmal von der Wortschöpfung «Reinschulung» ab) damals besser als heute, was meine Vermutung bestätigt, dass er eigentlich ganz normal sprechen könnte, dies aber aus Coolness-Gründen nicht tut.
    Doch Orhan hätte tatsächlich fast keine Schultüte gehabt. Meine Mutter hatte am Vortag eigentlich nur zufällig in einem Gespräch mit Orhans Eltern das Wort «Schultüte» in den Mund genommen, woraufhin Orhans Vater entgegnete: «Ihr Deutschen seid komisch. Erst kauft ihr Ranzen, dann ihr doch Tüte nehmen. Orhan geht mit Schultasche, nix Tüte. Is Schule, keine Aldi.» Als meine Mutter ihn über den deutschen Brauch der Schultüte aufklärte, fiel er fast aus allen Wolken. In Windeseile besorgten Orhans Eltern eine Schultüte. Die etwas unpräzise Angabe meiner Mutter, sie sei mit etwas Süßem zu füllen, führte dazu, dass Orhans Schultüte sich jetzt am unteren Ende dunkel färbte und leicht tropfte. Eine Mischung aus bei 31  °C deutscher Hochsommertemperatur geschmolzener unverpackter Schokolade und Türkischem Honig bahnte sich der Erdanziehung folgend ihren Weg. Orhans Mutter ignorierte das, meine Mutter fotografierte es. So ist jede Kultur unterschiedlich.
    Als Fabio endlich kam, konnte es losgehen.
    An der Schule angekommen, betraten wir die große Pausenhalle, die auch als Aula fungierte, und bekamen unsere Plätze zugewiesen. Das Programm ging los, an dessen Ende wir unseren Klassen zugeteilt werden sollten. Nach einer Begrüßung durch die Schulleiterin sangen Viertklässler das Lied mit dem vielsagenden Text: «Das komische Gefühl im Bauch, das hatten wir am Anfang auch …» Und es stimmt. Ich war verdammt nervös. Aber das komische Gefühl in meinem Bauch wurde erst so richtig schlimm, als eine Viertklässlerin eine Solostelle des Liedes völlig schief ins Mikro kreischte. Ein Vorgeschmack auf alle kommenden Schulaufführungen. Egal, ob Weihnachtskonzert, eine Vorstellung der Theater- AG oder Sommerfest, es sollte stets dieselbe Regel gelten: Sie sind immer bemüht und bisweilen kreativ, aber richtig gut sind sie eigentlich nie. Aber es sind ja die lieben Kinder, die sich so viel Mühe geben. Da durfte man nicht meckern, und wehe, man tat es. Ich habe mich im Zuge meiner Schullaufbahn mal erdreistet, eine Aufführung des Schulorchesters zu kritisieren. Sofort durfte ich mir von einem Lehrer einen Vortrag über pädagogisches Verhalten und Positivkorrektur anhören: «Niemals negativ. Man muss die Kinder aufbauen. Auch mal sagen: ‹Gut gemacht, Paul›, auch wenn es nicht wirklich stimmt.» Ich sagte daraufhin «Gut gemacht, Paul» zu einem Mädchen namens Viktoria und bekam eine gewischt. Wie man’s macht, man macht’s verkehrt.
    Viel Mühe gaben sich die Viertklässler auch beim nächsten Lied, mit dem vielsagenden Titel «Mir ist so langweilig». Dass man diesen launigen Stimmungskracher spielte, war, wie ich später erfuhr, Zeitmangel geschuldet: Man hatte es nicht mehr geschafft, ein Lied mit positiverer Botschaft vorzubereiten. Aber immerhin: Wir konnten später nicht sagen, dass man uns nicht gewarnt hätte.
    Nach zwei weiteren misslungenen Liedern und einem selbstgebastelten Schattenspiel der Zweitklässler, bei dem ein dicker, schwarzer Knubbel einen schrägen, hubbeligen Strich vor einem Kreis mit zwei Löchern rettete – die Figuren sollten wohl Tiere darstellen, die sich mir selbst heute auf Fotos nicht erschließen –, kam der Moment der Wahrheit. Eine Drittklässlerin spielte auf der Blockflöte «Highway to Hell», und ein überdrehter Vater aus dem hinteren Pausenhallenbereich stieg mit Headbanging und Luftgitarre ein. Auf diesem Stimmungshöhepunkt schritt die Schuldirektorin Frau Dr. Ingenbroich-Siederhahn nach vorne und bedankte sich für die musikalischen und künstlerischen Beiträge. Eine eiserne Autorität, diese Direktorin. Allein die Tatsache, dass sie einen Doktortitel
und
einen Doppelnamen trug, ließ uns in Ehrfurcht erstarren. Freilich bröckelte
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