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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Autoren: Malte Pieper
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gleichzeitig im Gespräch mit einem Mitschüler die wichtigsten Informationen für den anstehenden Biologietest ausgetauscht. Und das alles in einer zwanzigminütigen Pause!
    Doch diese Erfahrungen sollte man erst in der weiterführenden Schule machen. In der Grundschule war das Leben entspannt, man ging gerne hin – es sei denn, Kennenlernspiele waren angesagt. Dabei stellten wir uns auf dem Schulhof auf, und unsere Klassenlehrerin Frau Neumann malte einen roten und einen grünen Kreis mit Kreide auf den Boden. Beide Kreise waren groß genug, dass wir alle darin stehen konnten. Dann rief sie uns Fragen zu, wie z.B.: «Wer hat Geschwister?» Der, auf den das zutraf, ging in den grünen Kreis, und wer keine hatte, stellte sich in den roten. Ja, ich hatte Geschwister. Ja, ich spielte gerne Fußball. Ja, ich wohnte in einem Haus. Ich stand eigentlich die ganze Zeit im grünen Kreis und langweilte mich.
    War auch das wieder eine heimliche Warnung vor der Ödnis des Schulalltags? Wollte mir Frau Neumann den subtilen Hinweis geben, einfach abzuhauen, solange es noch möglich war? Hätte ich ihn nur befolgt: Einige furchtbar lange Lateinstunden oder nervige Vokabeltests wären mir erspart geblieben. Doch damals war ich so naiv und glaubte, dass ich alles richtig machte, als ich in dem Kreis stehen blieb.
    Kreise und ich – wir wurden nie Freunde. Mit großem Unbehagen erinnere ich mich z.B. an diverse Stuhlkreise, in denen wir Grundschüler gezwungen wurden, von unseren Urlaubs-, Wochenend- und Nachmittagserlebnissen zu erzählen. Ich hasste es, mir irgendetwas aus den Fingern zu saugen, denn ziemlich schnell war klar: Nur derjenige würde ein großes Tier in der Klasse sein, der spannende Dinge zu erzählen hatte. Also hieß es, sich Geschichten auszudenken, wenn eigentlich nicht viel passiert war. Immerhin wurde man hier gleich mit einer für das weitere Schulleben überlebenswichtigen Eigenschaft vertraut gemacht: lügen zu können oder, freundlicher ausgedrückt, Ereignisse kreativ auszuschmücken. Hatte man die Vokabeln nicht gelernt, erfand man einen Autounfall, bei dem man einen Gedächtnisverlust erlitten hatte. Konnte man seine Hausaufgaben nicht finden, machte man den Sturm vom vorigen Tage dafür verantwortlich und gestand höchstens den Fehler ein, das Fenster offen gelassen zu haben, sodass alle Blätter mit den Aufgaben herausgeflogen und verschwunden waren. Wer wollte einem da grobes Fehlverhalten vorwerfen? Ähnlich ging es im Erzählkreis zu. Hatte Fabios Oma sich am Sonntag an einem Kuchenstück verschluckt, wurde daraus in Fabios Erzählung schnell ein Erstickungstod, der nur dadurch verhindert worden war, dass Fabios Oma vor Schreck vom Stuhl gefallen war und sich dadurch das Kuchenstück wieder gelöst hatte. Fabio stellte das Geschehene mit einigem schauspielerischen Talent sehr überzeugend nach, und Orhan und mindestens drei andere Jungs begannen, sich mit gespielten Erstickungsanfällen zu überbieten, bis Frau Neumann dem Einhalt gebot und der Nächste an der Reihe war.
    Ein Mädchen, ihr Name war Marie, hatte am Wochenende anscheinend nur mit Barbies gespielt und schilderte dies in aller Ausführlichkeit: «Und dann hat die Barbie sich das rosa Kleid angezogen. Aber nicht das mit der Schleife, weißt du, Frau Neumann, weil das mag die gar nicht mehr. Sondern das mit den bunten Bändern. Und dann hat der Ken gesagt, er macht einen Ausflug, und die Barbie hat gesagt …» Und so weiter. Frau Neumann bat Marie immer wieder, nur das Wichtigste zu erzählen, aber Marie war ein kleines Mädchen. Und bei kleinen Mädchen ist alles wichtig, was sie tun. Eine detailgetreue Beschreibung der Einrichtung ihrer zwei Puppenhäuser später war Marie dann endlich fertig. Marie war eines der Mädchen, die auch in den höheren Klassen zu ausschweifenden Erzählungen neigten. Das zog sie gnadenlos durch, obwohl es keinen interessierte, wenn sie im Erdkundeunterricht beim Thema Asien erzählte, wo ihr Vater schon alles gewesen war. Die Lehrer fanden das toll, waren sie doch begeistert von der Offenheit dieser Schülerin, aber auch sie konnten auf genauere Nachfrage nicht erklären, was die Syrienreise von Maries Vater jetzt mit der Verschiebung der asiatischen Kontinentalplatten zu tun hatte.
    Im Erzählkreis waren solche Themensprünge normal und Teil des Wettbewerbs um die spektakulärste Erzählung. Markus hatte einen verletzten Hund am Straßenrand gefunden und gerettet, Paul war auf einen garantiert
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