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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Autoren: Malte Pieper
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auch dieser Status mit unserem Heranwachsen. Heute wissen wir, dass eine Schulleiterin im Grunde auch nur eine Lehrerin mit Büro ist und Doktortitel leichter zu beschaffen sind als ein rezeptfreies Medikament aus der Apotheke.
    Damals jedoch hingen wir an ihren Lippen, als sie begann, die Klassen zu verlesen. Zuerst die 1 a. Thomas und ich sind bereits aufgerufen worden und haben uns zu unseren zukünftigen Klassenkameraden und unserer Klassenlehrerin schüchtern auf die Bühne hinter die Direktorin gestellt. Als Orhan aufgerufen wird, springt er auf und ruft: «Yeah, Alter! Krasses Ding!» Die Pausenhalle lacht, die Klassenlehrerin weiß jetzt schon, wer der neue Klassenclown und Störenfried wird, und die Direktorin murmelt etwas von «südländischem Temperament» ins Mikrophon.
    Zwischenzeitlich geht der Vater, der eben noch Luftgitarre gespielt hat, zu der Flötenspielerin und fragt sie, ob sie auch «Hells Bells» spielen könnte. Das Mädchen rennt verschreckt davon. Den Vater beeindruckt das wenig, er tanzt auch ohne Musik weiter, bis er von seiner Frau mit den Worten «Immer säufst du dich zu, wenn du aufgeregt bist» aus der Halle geschoben wird.
    Weitere Kinder werden der 1 a zugeordnet, doch Fabio ist noch nicht dabei. Er beginnt zu zittern. Ein Markus Wiesenkopf wird aufgerufen. Dann eine Hannah Yeszra. Fabio beginnt zu weinen. Hätte er damals schon das Alphabet beherrscht, wäre er wohl kaum so verzweifelt gewesen, sondern hätte gewusst, dass sein Nachname «Zanelli» nun mal ganz am Ende kommt. Und so war es dann auch. Verheult schlich Fabio auf die Bühne und wischte sich die Tränen weg.
    Als alle Klassen zusammengestellt worden waren, gingen wir nach draußen, wo wir mit Helium gefüllte Luftballons steigen lassen sollten. Neben jedem I-Dötzchen, wie man uns Schulanfänger nannte, stand ein Viertklässler, der uns als Pate in den ersten Wochen mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte. Mein Pate hieß Patrick und hatte wohl etwas falsch verstanden, als es hieß, er solle mich beim Beginn meiner Schullaufbahn unterstützen, denn er lief in den folgenden Wochen jedes Mal weg, wenn er mich sah. Orhan hatte ein Mädchen als Patin zugeteilt bekommen, was sein Bruder Ahmed zum Anlass nahm, ständig hinter ihm herzulaufen und zu singen: «Orhan ist verliehiebt, Orhan ist verliehiebt!» Orhan wusste nicht, was Verliebtsein bedeutet, sah aber, dass es offensichtlich ein Grund war, ausgelacht zu werden. Also beschloss er, mir seine Patin zu vererben.
    An meinem ersten Schultag hatte sich Patrick allerdings noch um mich gekümmert. Sogar sehr gut. Er hatte die Schnur des Ballons so fest um meinen Arm geschnürt, dass die Blutversorgung der Hand kurzfristig unterbrochen zu werden drohte und ich den Ballon nicht abbekam, als das Signal gegeben wurde, die Ballons fliegen zu lassen. Erst als die anderen Ballons nur noch kleine Punkte am Himmelszelt geworden waren, flog meiner hinterher. Begleitet von einem immer noch Luftgitarre spielenden und «Highway to Hell» singenden Vater. Na, wenn das mal kein schlechtes Omen war.
    Der Tag danach
    Der erste Tag als Schulkind war aufregend. Wir bekamen sogar schon Hausaufgaben: Wir sollten unseren Namen mit Papierbuchstaben in ein Heft kleben und die Heftseite bunt verzieren. Da war sie also, die Schule, die Bildung, die Erleuchtung. Und sie bestand darin, dass ich die fünf Buchstaben meines Namens mit Klebestift in mein Heft klebte. Darunter malte ich eine Wiese und ein Haus. Mittlerweile konnte ich sogar eine richtig gute Sonne malen. Das war wohl die einfachste Hausaufgabe, die ich jemals bekommen hatte.
    Im richtigen und ungeschönten Schulalltag waren die Hausaufgaben ein Mittel der Lehrer, sich für Störungen im Unterricht zu rächen. Dem hatten wir nichts entgegenzusetzen. Einige versuchten dies zwar, indem sie die Hausaufgaben einfach nicht machten, aber auch das mündete nur in Klassenbucheinträgen, Strafarbeiten und noch mehr Aufgaben. Man ging also dazu über, Hausaufgaben in möglichst ökonomischer, sprich kurzer Form zu erledigen, oder organisierte sich in der Pause die Aufzeichnungen eines Mitschülers und schrieb diese ab. So manch einer hat diese Techniken im Laufe eines Schülerlebens geradezu endlos präzise perfektioniert. Da wurden mit der rechten Hand ein Deutschaufsatz abgeschrieben, mit der linken Hand auf dem Taschenrechner noch schnell eine Matheaufgabe getippt, zwischendurch ein paar Striche auf ein abzugebendes Kunstbild gemalt und
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