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Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Titel: Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
Autoren: Sandra Andrea Huber
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Ich habe mich irgendwann damit abgefunden, glaube ich. Wenn man sich … hingibt, ist es viel leichter, als wenn man seine Kraft mit Gegenwehr verschwendet. Das macht nur zusätzlich kaputt. Ich kann nicht sagen, ob ich noch die Gleiche bin. Ob ich immer noch ich bin. Wahrscheinlich nicht … das wäre wohl eine Kuriosität.
    Nun … es ist genau genommen auch völlig egal, wie oder warum man hier gelandet ist. Einmal hier, bedeutet für immer hier. Selbst wenn man von hier abhaut – was ich dir nicht raten würde –, gibt es trotzdem keine Möglichkeit nach Hause zu kommen. Nicht ohne einen Sensaten, der dich mit sich nimmt.“
    Gwen sah Anna voller Mitgefühl an. Doch genauso viel Mitgefühl empfand sie für sich selbst, denn sie hatte recht gehabt was das „nach Hause kommen“ anging. Es gab nur einen einzigen Sensaten – Halbsensaten – der sie freiwillig und gewollt wieder nach Hause, zurück auf die Erde, bringen konnte: Nikolaj. Aber dazu musste er sie erst einmal finden - und sie zurückbringen wollen. Warum hatte er sie überhaupt hergebracht? Glaubte er, sie hier besser an der Leine halten zu können? Hier, wo sie ihm nicht weglaufen und entkommen konnte? Weil es sein Revier war?
    Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was die Senastenwelt noch zu bieten hatte, so war ihr doch eines glasklar: Das Marofláge war kein Ort zum Verweilen. Sie musste also darauf hoffen, dass der Mörder ihres Vaters auftauchen und sie retten würde. Makaber war dieser Gedanke, den Mörder ihres Vaters herbeizusehnen. Eine naive Hoffnung, angesichts der Tatsache, dass Nikolaj derjenige war, der sie hierhergebracht hatte. Darüber hinaus begleitet von einem abermaligen Anflug von Masochismus, 
wahrhaftig 
zu hoffen, dass Nikolaj zu ihr kommen und sie retten würde. Denn noch immer hing ein Teil von ihr fest an ihn gebunden. Sehnte sich nach ihm. Wünschte ihn an ihre Seite, sodass alles wieder gut werden würde.
    Welche Definition war demnach die Treffendste: makaber, naiv oder masochistisch?
    Sie schloss die Augen und versuchte sich an sein Lachen zu erinnern. Sein wirkliches, echtes Lachen. Damals als Kind, und heute als Erwachsener. Es ließ sogleich Wärme in ihrem Körper aufglimmen. Wie sehr wünschte sie sich, jenes Lachen wieder zu sehen und zu hören. Wie sehr wünschte sie sich, wieder in seine Augen zu blicken, deren Blau und Schwarz einen strahlenden Tanz vollführten. Sie wollte mit ihm lachen, herumalbern, diskutieren, streiten, weinen. Einfach alles. Zumindest hatte sie das bisher immer gewollt.
    Doch konnte man für einen Mörder – den Mörder seines Vaters – noch so viel Zuneigung, so viel Liebe empfinden? Grenzte das noch an gesunden Menschenverstand? War ein Mörder der Liebe würdig? War jemand, der einen verletzte, immer und immer wieder, der Liebe würdig? War Nick ihrer Liebe würdig? Nach allem, was geschehen war? Nach allem, was er getan hatte? Gab es tatsächlich Taten, die einen der Würdigkeit der Liebe entzogen? Wenn ja: Wer entschied darüber? Wer entschied, wann jemand der Liebe nicht mehr würdig war?
    Es war ein verrücktes Gedankenspiel, das ihren Kopf in beschlag nahm und sie war sich bewusst, dass sie eine Minderheit war, die sich diesem Spiel widmete. Sie konnte sich nur zu gut ausmalen, was ihre Eltern, Josh und die Gesellschaft sagen würden: Solch ein Monster gehört hinter Gitter – oder gleich aus dem Weg geräumt. Und jemand, der sich ernsthaft darüber Gedanken macht, ob so ein jemand Liebe verdient, der gehört gleich mit eingesperrt oder von der Bildfläche geschafft. Sie war in der Tat eine zeitgemäße Rarität. War anders. War speziell. War sie schon immer gewesen.
    Der Hauch eines Lächelns wehte über ihr Gesicht. Damals als Elfjährige war sie dazwischengegangen, als die ältere Bianca und ihre Freundinnen ein anderes Mädchen zur Schnecke gemacht hatten. Fortan war jenes Mädchen tatsächlich aus dem Fokus der Älteren entlassen gewesen. Stattdessen war sie auf den Platz des Prügelknaben nachgerückt und hatte selbst sehen müssen, wie sie mit den Lästertriaden der Mädchen zurechtkam. Diese Farce war geblieben, bis zu dem Tag auf dem Spielplatz, als Nikolaj den Mädchen eine Lektion erteilt hatte, die ihnen ein für alle Mal den Mund gestopft hatte.
    Wäre sie nicht so gewesen, wie sie war, wäre sie nicht die, die sie war, wären sie und Nick sich womöglich niemals begegnet. Er hätte sie an jenem Tag nicht verfolgt von drei Mädchen den Gehsteig entlang laufen
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