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Wenn auch nur fuer einen Tag

Wenn auch nur fuer einen Tag

Titel: Wenn auch nur fuer einen Tag
Autoren: Annette Moser
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durchgemacht und musste versuchen, mit seiner Vergangenheit klarzukommen. Genau wie ich. Aber keiner von uns beiden hatte auch nur die leiseste Ahnung, wie eng unsere Geschichten miteinander verwoben waren. Hätten wir es gewusst, wir wären nie im Leben ein Paar geworden.
    Ich hole tief Luft, dann strecke ich meinen Finger nach dem Klingelknopf aus, ziehe ihn aber schnell wieder zurück. Von innen sind plötzlich Schritte zu hören, die durchs Treppenhaus hallen und sich auf die Haustür zubewegen. Automatisch weiche ich ein paar Meter zurück.
    Kurz darauf wird die Tür aufgerissen. Ein junger Mann sprintet heraus. Er trägt ein Superman-T-Shirt und eine Sporttasche über der Schulter.
    » Arrivederci, Fabio! Wünsch mir Glück!«, ruft er hinter sich ins Haus.
    »In bocca al lupo! «, ertönt es von drinnen.»Viel Glück in Hamburg, Kleiner! Du tust das Richtige, ich bin stolz auf dich. Und hoffentlich kommst du nicht so bald zurück. Du weißt, wie ich das meine!«
    » Sì , ho capito . Ich ruf dich an, fratellino .«
    Die Tür fällt ins Schloss. Der junge Mann macht noch zwei, drei Schritte, dann bleibt er verdutzt stehen. Die Tasche gleitet von seiner Schulter.
    Ich höre mein Herz laut klopfen. Wir starren uns an – er und ich.
    Sein dunkles Haar, in dem eine Sonnenbrille klemmt, fällt ihm in die Stirn und ist leicht verwuschelt. In seinen dunkelbraunen Augen liegt ein Ausdruck von Überwältigung. Sein Blick erinnert mich an unser erstes Treffen auf der Uniparty. Damals waren seine Augen jedoch von einem unwirklichen Grün.
    Ich schlucke. Dann öffne ich den Mund. Ich will wissen, ob es sich vertraut anfühlt, wenn ich seinen Namen ausspreche. Aber ich stocke. Ich bringe ihn nicht über die Lippen. Wie auch? Er heißt nicht mehr Lukas. Ich kenne diesen Jungen nicht, der da vor mir steht.
    Zögernd bewegt er sich auf mich zu.
    Ich stehe da wie angewurzelt, ohne den Blick von ihm zu wenden. Mit jedem Schritt, den er sich mir nähert, hoffe ich sehnsüchtiger auf eine Antwort, die mir klarmacht, was ich empfinden soll. Aber ich spüre nichts außer diesem schrecklich bedrückenden Klumpen in mir. Und mein immer lauter klopfendes Herz.
    Schließlich bleibt er vor mir stehen. Nur ein Schritt trennt uns noch. Er öffnet zögernd die Lippen.
    »Jana …«
    Ich halte den Atem an. Es ist seine Stimme, mit der er meinen Namen ausspricht, und es ist sein Lächeln, das sich jetzt zaghaft auf seine Lippen legt. Und auf einmal, von einer Sekunde auf die andere, merke ich, wie sich dieses feine Lächeln, das ich so sehr liebe, in mich hineinstiehlt und das dicke, fest verzurrte Knäuel aus Ängsten und Zweifeln nach und nach entwirrt.
    Keine Ahnung, warum mir plötzlich Tränen übers Gesicht strömen. Vielleicht, weil ich so erleichtert bin. Und unendlich glücklich, dass ich endlich die Antwort auf meine Frage habe und sie mir das Gefühl nimmt, einem Fremden gegenüberzustehen.
    Den letzten Schritt zwischen uns mache ich. »Matteo …« Ich flüstere seinen Namen, wie um ihn zu testen. Ihn auszusprechen, fühlt sich ungewohnt an, aber zugleich auch richtig. Ich wiederhole ihn. »Matteo … Matteo!«
    Einen Augenblick später liege ich in seinen Armen. Wir halten uns fest, ganz, ganz fest, und ich atme seine warme, vertraute Nähe ein. An dem Beben, das durch seinen Körper geht, spüre ich, dass auch er weint.

EPILOG
    Zwei Monate später
    Der junge Mann versuchte, eine erste Reaktion in dem strengen Gesicht des Professors zu lesen, aber dessen Mimik blieb versteinert und verriet nichts über das, was er dachte. Der grauhaarige Mann Ende fünfzig betrachtete noch immer hoch konzentriert die Arbeiten und Kursunterlagen seines Gegenübers, die er aus seiner Studienzeit in Rom vorzuweisen hatte. Endlich hob er den Kopf.
    »Ihre Arbeiten sind nicht schlecht, genau wie Ihre bisherigen Zensuren.« Er nahm seine Brille von der Nase und legte sie vor sich auf dem Schreibtisch ab. Dann verschränkte Professor Hartmann die Hände vor der Brust. »Ihr Name ist also Matteo Orsini. Sind Sie verwandt mit demrömischen Architekten Luciano Orsini?«
    Der Junge zögerte und fuhr sich nervös durch die dunklen Haare. Er hatte mit dieser Frage gerechnet und trotzdem fühlte er sich jetzt überrumpelt. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte, und am liebsten hätte er sich um eine Antwort gedrückt. Aber bevor er ernsthaft nach einer passenden Ausrede suchen konnte, straffte er die Schultern und sah seinem Gegenüber offen ins
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